Arno Helmberg's HOMEPAGE

-Immunologie
-Herz-Kreislauf
-Ernährung & Verdauung
-Leberfunktionsstörungen
-Krebsentstehung
-Knochenstoffwechsel
-Muskelfunktionsstörungen
-Gicht






INHALT:

1.  Wasser und- Flüssigkeitskompartimente
 Albumin
 Regulation Wassergehalt
2. Nierendurchblutung
 Regulation der GFR
 -Autoregulation
 -Systemische Regulation
3. Glomeruläre Filtration
 Mikroalbuminurie
 GFR
 -Kreatininclearance
 -Serumkreatinin
 -estimated GFR
4. Na+ und EZ-Volumen
 ANP
 Renin-Angiotensin-Aldo
 -Renin
 -Angiotensin II
 -Aldosteron
 -Glucocorticoide
 ADH/AVP
 Diabetes Insipidus
 SIADH
 Hyponatriämie
 Hypernatriämie
 Konzentrierung und Mark
 -Meerwasser trinken?
 -Papillennekrose
 Ödembildung
5. K+ -Störungen
 Hyperkaliämie
 Hypokaliämie
6. Glucose & Diabetes
7. Proteine und Peptide
8. Säure-Basen-Haushalt
 Reabsorption von HCO3-
 Ausscheidung von NH4+
 Titrierbare Säuren
 Osteoporose-Ernährung?
 pH-Elimin. Medikamente
 Elimin. organischer Ionen
 Kompensation von Azidose und Alkalose
 -Respiratorische Azidose
 -Respiratorische Alkalose
 -Metabolische Azidose
 --Base excess
 --Anion gap
 -Metabolische Alkalose
 Hypovolämie-Azidurie
 Hypokaliämie-Alkalose
9. Glomeruläre Erkr.
Primär nephrotisch:
 -Membranöse GP
 -Nephrotisches Syndrom
 -Minimal change disease
 -Prim. fok. segm. GS
Primär nephritisch:
 -Diffuse proliferative GN
 -Membranoproliferat. GN
 -Mesangioproliferative- GN, IgA-Nephritis
 -Goodpasture-Syndrom
 -Sekund. fok. segm. GS
10. Tubulointerstit. Erkr.
 Pyelonephritis
 Medikam.-Schädigung:
 -vaskulär
 -tubulär
 Polyzystische Nierenerkr.
11. Calcium und Phosphat
 Parathormon (PTH)
 Vitamin D
 FGF23
 Hyperphospatämie ESRD
12. Erythropoetin (EPO)
13. Chron. Nierenversagen

 

SKRIPT PATHOPHYSIOLOGIE DER NIERE

Dieses Skriptum ist eine Lernhilfe zu meiner Vorlesung im Modul "Niere und ableitende Harnwege" an der Medizinischen Universität Innsbruck. Es steht auch in einer pdf-Version zur Verfügung. Dank an Prof. Gert Mayer für die Durchsicht des Skripts! Ich möchte alle Studierenden ermutigen, sich eine gute Basis an medizinischem Englisch zu erarbeiten und stelle das Skriptum daher auch in einer Englischen Version zur Verfügung.

Version 1.9                 ©Arno Helmberg 2016-2023

 

 

Warum haben wir Nieren? Wenn unser Organismus wasserlösliche Metaboliten produziert, die schwer über Zellmembranen zu transportieren sind und sich jenseits einer gewissen Konzentration toxisch verhalten, benötigen wir eine direkte Verbindung vom extrazellulären Flüssigkeitskompartiment in die Außenwelt, um sie loszuwerden. Solche Metaboliten sind nicht hypothetisch: produzieren wir z. B. Energie aus Aminosäuren, bleiben Aminogruppen "übrig". Stickstoff ist schwer effizient zu sezernieren, sei es in der Form von Ammoniumionen oder des weniger toxischen Harnstoffs. Direktes ausschleusen nach draußen löst das Problem.

Allerdings würde es uns in Minuten töten, wenn wir einfach unser Extrazellulärvolumen nach draußen pumpen, außer, es gelingt uns, daraus alles, was wir benötigen, beginnend mit Wasser, in einem genau regulierten Prozess mit äußerster Effizienz wieder rückzuresorbieren. Das ist, neben zahlreichen weiteren wichtigen Funktionen, die z. B. durch die Herstellung von Renin, aktivem Vitamin D und Erythropoetin eingeleitet werden, der Kern der Nierenfunktion. Beginnen wir mit Wasser.

 

 

1. WASSER UND FLÜSSIGKEITSKOMPARTIMENTE


Mit 50-60% unserer Körpermasse (75% bei Säuglingen) ist Wasser quantitativ der Hauptbestandteil unseres Körpers. Warum diese Bandbreite? Hauptsächlich durch individuelle Unterschiede bezüglich Fettspeicher und Muskelmasse. Fett schließt Wasser aus, daher enthalten Fettzellen sehr wenig Wasser. Männer haben durch Androgenwirkung ein höheres Verhältnis von "wässrigem" Muskel zu wasserarmem Fett. Auch schlanke Frauen haben ein niedrigeres Muskel-Fett-Verhältnis und daher einen niedrigeren Wasseranteil, der gegen 50% tendiert. Knapp zwei Drittel des Körperwassers befindet sich intrazellulär, der Rest extrazellulär.

Der Körper einer schlanken Frau von 70 kg enthält damit etwa 35 l Wasser, davon etwa 21 l (60%) intrazellulär und 14 l extrazellulär. Das Extrazellulärvolumen setzt sich aus interstitieller Flüssigkeit und ca. 3 l Blutplasma zusammen. Ihr Fettanteil macht 30-40% aus, also 21-28 kg. Im Vergleich dazu enthält ein ebenfalls 70 kg schwerer Mann 42 l Gesamtkörperwasser, davon 25 l intrazellulär und 17 l extrazellulär. Sein Fettanteil beträgt 15-25%, also 11-18 kg. Bei beiden Geschlechtern ist das Blutvolumen die Summe aus 3 l Plasma und dem Volumen der Blutkörperchen, was sich bei Frauen auf 5 l, bei Männern auf 5.5 l addiert: der Hämatokrit, der Zellanteil des Blutes, ist bei Männern etwas höher.

 

Wiederholen wir einige notwendige Begriffe:

Die Einheit Osmol bezeichnet die molare Menge von gelösten Teilchen, die zum osmotischen Druck der Lösung beitragen.

Die osmotische Konzentration (Osmolarität) wird in Osmol/l ausgedrückt. Sie wird in der medizinischen Anwendung meist nicht genau gemessen, sondern mit Hilfe einiger ohnehin routinemäßig bestimmter Parameter geschätzt, z. B.:

Osmotische Konzentration des Serums=

= 2 x Na+ + Harnstoff  + Glucose (jeweils in mmol/l)

oder, wenn Harnstoff- und Glucosekonzentration in mg/dl vorliegen:

            = (2 x Na+ [mmol/l]) + (Harnstoff [mg/dl]/2.8) + (Glucose [mg/dl]/18)

 

Osmolalität bezieht sich dagegen nicht auf ein Volumen, sondern auf ein kg Lösungsmittel (Osmol/kg Lösungsmittel). Sie wird direkt über Bestimmung der Gefrierpunktserniedrigung oder der Dampfdruckerniedrigung gemessen.

Für eine medizinisch relevante, gegebene Lösung ist die osmotische Konzentration (mOsmol/l) daher etwas geringer als die Osmolalität (mOsmol/kg Lösungsmittel), da das zur Berechnung der osmotischen Konzentration herangezogene Volumen die gelösten Stoffe miteinschließt, während die Osmolalität auf einem kg Lösungsmittel basiert und die gelösten Stoffe nicht einschließt. Mit anderen Worten, um von osmotischer Konzentration zu Osmolalität zu gelangen, müsste man etwas Lösungsvolumen inklusive gelöster Stoffe dazugeben. Die Unterschiede sind in der Praxis minimal, da unsere Körperflüssigkeiten nur relativ geringe Mengen gelöster Stoffe enthalten.

Die Osmolalität von Intrazellulärvolumen, interstitiellem Volumen und Blutplasma ist mit etwa 290 mOsmol/kg in allen Kompartimenten gleich, sonst würde Wasser das Kompartiment solange wechseln, bis ein neues Gleichgewicht erreicht wäre. Die Zusammensetzung der gelösten Stoffe unterscheidet sich allerdings sehr wesentlich.

Das Leben begann in den Ozeanen, und daraus emigrierende Vielzeller nahmen ihren "inneren Ozean" mit. Unser extrazelluläres Kompartiment ist daher reich an Salz, NaCl, während unser Hauptkation im Inneren der Zelle K+ ist. Intra- und extrazelluläres Kompartiment sind durch Zellmembranen getrennt. Die Asymmetrie zwischen den beiden Kompartimenten wird hauptsächlich durch die Na-K-ATPase aufrechterhalten, die drei Na+-Ionen im Austausch gegen zwei K+-Ionen aus der Zelle pumpt. Zwischen den extrazellulären Kompartimenten besteht Asymmetrie vor allem durch den unterschiedlichen Proteingehalt. Die Leber reichert das Blutplasma dauernd mit Proteinen an, von denen die meisten zu groß sind, um das Endothel zu passieren, solange keine Entzündung besteht.

Unsere Hauptflüssigkeitskompartimente unterscheiden sich folgendermaßen:

gelöste Substanz

Plasma

Interstitium

Zellen

Na+ (mM)

142

145

15

K+   (mM)

4

4

120

Ca2+  (frei, mM)

1.2

1.2

10-4

Ca2+  (gesamt)

2.5

 

 

Mg2+ (frei, mM)

0.6

0.6

1

Mg2+ (gesamt)

0.9

 

18

Cl(mM)

102

116

20

HCO3(mM)

24

25

15

Phosphat  (frei, mM)

0.7

0.8

0.7

Proteine (g/dl)

7

1

30

Albumin (g/dl)

4.5

1

 

Osmolalität (mOsmol/kg )

291

290

290

 

Albumin


Albumin ist das quantitativ wichtigste extrazelluläre Protein. Jeden Tag synthetisiert unsere Leber 9-12 g davon. Es ist ein 66 kDa-Protein mit Dreiecks- oder Herzform mit einer stark negativen Nettoladung von -15. Es ordnet sich daher in der Serumelektrophorese nahe des Pluspols an. Obwohl wir Albumin als Plasmaprotein betrachten, befindet sich mehr Albumin im Interstitium als im Blutplasma: zwar ist die Albuminkonzentration im Plasma viermal so hoch, doch ist das interstitielle Volumen fünfmal so groß. Die Abflussgeschwindigkeit von Albumin ins Interstitium hängt von der Permselektivität der Kapillaren im jeweiligen Organ ab. Während Kapillarwände im ZNS kaum Albumin durchlassen, sind jene in Darm, Muskel oder Fett viel permeabler, ganz zu schweigen von den fenestrierten Endothelien in Leber und Glomerula. So wurde z. B. die interstitielle Albuminkonzentration im Muskel mit 1.3 g/dl, die in Fett mit 0.7 g/dl angegeben. Interstitielles Albumin wird über die Lymphwege ins Blut zurückgeführt. Ohne Drainage über die Lymphgefäße würden sich die Albuminspiegel von Blut und Interstitium mit der Zeit angleichen.

 

Regulation des Wassergehalts unseres Körpers

 

Wenn Wasser der quantitativ vorwiegende Bestandteil unseres Organismus ist, wie regulieren wir dessen Volumen? Stellen wir uns selbst in erster Annäherung als Fass vor: dann wäre es leicht, festzustellen, wenn es voll ist. Jedoch, das Modell ist nicht gut. Unserem Körper fehlt die stabile Struktur eines Fasses, er ist einem Ballon ähnlicher: durch seine Elastizität ist es schwierig, sein "richtiges" Volumen zu bestimmen.

Tatsächlich stellt unser Körper das Wasservolumen in einem zweistufigen Verfahren:

1.      Zunächst reguliert er präzise die Osmolalität: er reguliert den Wassergehalt, um den osmotischen Druck konstant zu halten. In der Regel bedeutet das, er reguliert den Wassergehalt, um die extrazelluläre Na+‑Konzentration konstant zu halten. Dadurch bleibt aber immer noch das Ballonproblem bestehen: wir können mehr oder weniger isotone NaCl‑Lösung in den Ballon unseres Körpers füllen. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch tatsächlich der Fall: unser Extrazellulärvolumen hängt von unserer Na+-Zufuhr ab und ist viel variabler als unsere Osmolalität. Anders ausgedrückt: unsere Osmoregulation ist strikter als unsere Volumenregulation.

2.      Doch ist klar, dass wir in einem zweiten Schritt, wenn auch mit viel geringerer Präzision, auch das Volumen messen und regulieren müssen. Dazu verwenden wir Drucksensoren in Arterien, Herzvorhof und den Vasa afferentia der Nierenglomerula. Allerdings ist unsere Fähigkeit, extrazelluläres Volumen zu messen, auf diese "Blutvolumenmessgeräte" beschränkt: wir sind nicht imstande, überschüssiges Volumen in der Form von interstitiellen Ödemen, Aszites oder Pleuraergüssen zu messen.

Halten wir fest, dass wir ein einzelnes, präzises Messgerät zur Bestimmung der Osmolalität besitzen, das perfekt funktioniert, sowie eine Reihe weiterer Messeinrichtungen zur Schätzung des zirkulierenden Blutvolumens, die uns jedoch leider nicht ermöglichen, das Extrazellulärvolumen in seiner Gesamtheit zu bestimmen.

 

 

2. REGULATION DER NIERENDURCHBLUTUNG

 

Unsere beiden Nieren zusammen machen weniger als 0,5% unseres Körpergewichts aus, erhalten jedoch 20% des Herzminutenvolumens. In Ruhe beträgt unser Herzminutenvolumen etwa 5 l/min, wovon 1 l/min die Nieren versorgt. Das ist in erster Linie notwendig, um gelöste Stoffe auszuscheiden, die von Zellen schlecht sezerniert werden können. Außerdem spiegelt diese Durchblutung die hohe metabolische Aktivität der Nieren wider: sie stehen für 7-10% des Gesamtsauerstoffverbrauchs unseres Körpers in Ruhe.

Der renale Plasmafluss kann mit Hilfe von Paraaminohippurat (PAH) gemessen werden. Spuren von PAH entstehen im Körper durch metabolische Prozesse; für den Test werden jedoch große Mengen intravenös infundiert. PAH wird im Glomerulum frei filtriert und zusätzlich im proximalen Tubulus aktiv sezerniert. Annähernd das gesamte PAH (92%) wird in einem Durchlauf ausgeschieden, sodass die PAH-Clearance einen Näherungswert für den renalen Plasmafluss und, mit Hilfe des Hämatokrits, für die Nierendurchblutung ergibt.

Etwa 90% des Blutes, das die Glomerula verlässt, versorgt anschließend das Parenchym der Nierenrinde. Lediglich die restlichen 10%, aus einer Subpopulation der juxtamedullären Glomerula, durchbluten über die Vasa recta das Nierenmark. Wegen des hohen Flusswiderstandes dieser langen Kapillaren erreichen nur sehr geringe Flussraten die Nierenpapillen. Das ist funktionell notwendig; andernfalls würde der hohe osmotische Gradient des Nierenmarks ausgewaschen und wir wären nicht fähig, Urin zu konzentrieren. Auf der anderen Seite versetzt das die Zellen im Nierenmark in eine prekäre Lage: sobald diese schwache Grundversorgung mit einem zusätzlichen Problem belastet wird, geraten diese Zellen in bedrohlichen Sauerstoffmangel.

 

Regulation der glomerulären Filtrationsrate

 

Erhöht sich der Widerstand der afferenten Arteriole, erniedrigt sich dadurch die glomeruläre Filtrationsrate (GFR). Eine isolierte Erhöhung des Widerstands der efferenten Arteriole führt dagegen zu einer biphasischen Reaktion der GFR. Vom unteren Ende des Widerstandsbereichs führt eine Erhöhung zunächst zu einem Anstieg der GFR durch den erhöhten Filtrationsdruck, in Verbindung mit einer erhöhten Filtrationsfraktion: vom ins Glomerulum einströmenden Blut wird etwas mehr filtriert, dafür steht etwas weniger Blut für die Versorgung des Parenchyms "hinter" dem Vas efferens zur Verfügung. Mit einer weiteren Steigerung des Widerstands verringert sich jedoch die Gesamtdurchblutung des Systems, der renale Plasmafluss, sodass die GFR zunächst ein Plateau erreicht und bei weiterer Widerstandssteigerung abfällt.

Zwei Ebenen der Regulation wirken sich auf glomeruläre Arteriolen aus. Autoregulation beruht auf Feedback aus dem einzelnen Nephron und wirkt nur auf das Vas afferens. Darüber hinaus wirkt systemische Regulation über das autonome Nervensystem sowie über humorale Faktoren.

 

Autoregulation

 

Autoregulation ist das Resultat zweier unabhängiger Mechanismen:

1.      Myogene Regulation: Erhöhung des arteriellen Drucks öffnet dehnungsabhängige nicht-selektive Kationenkanäle in glatten Muskelzellen der Wand des Vas afferens. Das depolarisiert die Zellmembran, öffnet spannungsabhängige Ca2+-Kanäle und führt so zur Kontraktion.

2.      Tubuloglomerulärer Feedback: erhöht sich die GFR eines Nephrons, erreicht mehr NaCl die Macula densa am Ende des aufsteigenden Teils der Henle-Schleife. Die Macula densa-Zellen registrieren das mit Hilfe ihrer Na-K-2Cl-Cotransporter (NKCC2, SLC12A1). Die verstärkte Chloridaufnahme führt über einen basolateralen Chloridausstrom zur Membrandepolarisation. Ca2+-Influx bewirkt anschließend die Freisetzung parakrin wirkender Faktoren wie Adenosin oder Thromboxan, die eine Kontraktion der glatten Muskelzellen der afferenten Arteriole auslösen.

Pharmakologische Querverstrebung: Furosemid bremst den Na-K-2Cl-Cotransporter und hemmt damit nicht nur die Rückresorption von Na+ und Cl, sondern hemmt auch den tubuloglomerulären Feedback. Die GFR bleibt daher trotz NaCl-Verlusten hoch, was zur Aufrechterhaltung der Diurese beiträgt. Das Gegenteil ist bei Thiaziddiuretika der Fall.

Proteinreiche Ernährung steigert den glomerulären Kapillardruck und die GFR. Die Proteinaufnahme steigert über einen noch unbekannten Mechanismus die Rückresorption von NaCl im dicken aufsteigenden Teil der Henle-Schleife. Weniger NaCl erreicht die Macula densa; tubuloglomerulärer Feedback öffnet das Vas afferens und erhöht die GFR. Dieser Mechanismus hilft uns, den verstärkt anfallenden Stickstoff aus den Aminogruppen zu entsorgen, erhöht aber das Risiko eines Druckschadens der Glomerula. Tendenziell erhöht eine proteinreiche Ernährung auf diese Weise das Risiko einer Nierenschädigung.

 

Systemische Regulation

 

Sympathikusaktivierung steigert sowohl afferenten wie auch efferenten Widerstand. Intensive Sympathikusaktivierung führt zu drastischen Einbrüchen von renaler Durchblutung und GFR. Zudem führt Sympathikusaktivierung via β1-Rezeptoren zur Ausschüttung von Renin.

Renin-Angiotensin II:  Die afferente Arteriole ist in der Lage, eine Verminderung des arteriellen Drucks zu registrieren; sie fungiert als Barorezeptor. Sie stimuliert granuläre Zellen in der Arteriolenwand zur Freisetzung von Renin mit dem Ziel, das Extrazellulärvolumen so gut wie möglich zu erhalten. Durch angiotensin converting enzyme (ACE) auf der Membran der glomerulären Endothelzellen entsteht lokal Angiotensin II, das dadurch die efferente Arteriole mehr konstringiert als die afferente, mit dem Nettoeffekt einer Erhaltung der GFR.

Atriales natriuretisches Peptid (ANP): Hohes Kreislaufvolumen wird durch verstärkte Dehnung der Myozyten im Herzvorhof registriert, die darauf ANP ausschütten. ANP erweitert afferente Arteriolen und vermindert die Sensitivität des tubuloglomerulären Feedbacks. In Summe führt das zu einer Steigerung der GFR, einer Verminderung des osmotischen Drucks im Nierenmark und zu einer Steigerung der Diurese.

Prostaglandine werden durch Endothelzellen, glatte Gefäßmuskelzellen, Mesangiumzellen, Tubuluszellen und interstitielle Zellen der Medulla synthetisiert. Das geschieht hauptsächlich in Reaktion auf die Vasokonstriktoren Angiotensin II, Sympathikusaktivierung und ADH. Dadurch limitieren sie deren konstriktorischen Effekt und halten Durchblutung und GFR auch unter Stressbedingungen aufrecht.

Pharmakologische Querverstrebung: Häufige Anwendung von Cyclooxygenase (COX)-Inhibitoren blockiert diesen durchblutungserhaltenden Effekt und vergrößert dadurch tendenziell das Risiko eines Nierenschadens. Ein solcher Schaden entsteht notwendigerweise am ehesten im Nierenmark, wo die Durchblutung zur Aufrechterhaltung des hyperosmolaren Milieus ohnehin bereits auf ein Minimum reduziert ist.

Wir werden auf diese Regulatoren später noch detaillierter zurückkommen, nachdem wir uns mit der glomerulären Filtration und der Rückresorption von Salz und Wasser beschäftigt haben.

 

 

3. GLOMERULÄRE FILTRATION

 

Das glomeruläre Filter (fachsprachlich Neutrum) besteht aus drei Komponenten:

·      Endothelzellen: glomeruläres Endothel ist fenestriert, sodass eher keine Barriere für gelöste Substanzen besteht; eine Rolle der stark negativ geladenen endothelialen Glykokalyx bei der Permselektivität wird aber diskutiert.

·      Basalmembran mit Lamina rara interna, Lamina densa und Lamina rara externa. Die Basalmembran ist ein gemeinsames Syntheseprodukt von Endothelzellen und Podozyten und die direkte Fortsetzung der Glykokalyx. Sie besteht aus einem dichten Netzwerk von Proteinen wie Kollagen Typ IV und Proteoglykanen. Die Proteoglykane tragen wiederum zahlreiche negative Ladungen, z. B. in der Form von Sialinsäure (N-Acetylneuraminsäure). Diese Ladungen verringern die Durchlässigkeit des Filters für negativ geladene Substanzen wie z. B. Albumin. Die Basalmembran verhindert, dass Blutzellen das Filter passieren können.

·      Schlitzmembran zwischen den Fußfortsätzen der Podozyten. Die Schlitzmembran stellt ein dichtes Sieb aus zwei Hauptproteinen dar, den langen Transmembranproteinen Nephrin und Neph1, deren intrazelluläres Ende im Zytosol durch Podocin fixiert wird.

Kongenitales nephrotisches Syndrom vom Finnischen Typ: Dieses sehr seltene Syndrom wird durch Mutationen im Nephringen ausgelöst. Große Mengen von Plasmaproteinen werden filtriert und über den Urin verloren. Es resultieren Nierenversagen, Proteinmangelzustand und vermehrte Infektionen, da auch Immunglobuline verloren gehen. Auf der Basis dieser Erkrankung nimmt man an, dass die Schlitzmembran die für die selektive Permeabilität hauptverantwortliche Struktur ist.

Zwei Faktoren tragen zur selektiven Permeabilität oder Permselektivität bei:

1.      Größenselektivität: eine Porengröße von etwa 8 nm Durchmesser verhindert den Durchtritt von Proteinen jenseits dieser Größe. Die in dieser Hinsicht bestimmende Eigenschaft eines Proteins ist sein Einstein-Stokes-Radius, der Radius einer hypothetischen festen Kugel, die mit derselben Geschwindigkeit wie das Protein, das ja eine sehr unregelmäßige Form haben kann, diffundiert. Globuläre Proteine mit einem Einstein-Stokes-Radius von 4 nm, also einem Durchmesser von 8 nm, haben relative Massen um 70 kDa: größere Proteine können das Filter nicht passieren. Antikörper (ab  etwa 150 kDa) werden vollständig zurückgehalten, während isolierte leichte Immunglobulinketten (22 kDa) oder deren Dimere (44 kDa, so genannte Bence-Jones-Proteine, die bei Myelomen auftreten können) das Filter passieren.

2.      Ladungsselektivität: auf Glykokalyx von Endothelzellen und Podozyten, Basalmembran und Schlitzmembran sind negative Ladungen in hoher Dichte angeordnet. Auch die Mehrheit der Plasmaproteine trägt beim physiologischen pH 7,4 ein negative Nettoladung. Auch Plasmaproteine, die räumlich durch die Poren passen würden, werden so durch elektrostatische Abstoßung daran gehindert, das Filter zu passieren. In einer Analogie kann man sich ein Absperrgitter vorstellen, zwischen dessen Stäben man sich gerade noch durchquetschen könnte. Ist es allerdings frisch gestrichen, wird man von diesem Versuch eher Abstand nehmen. Humanes Serum-Albumin mit seinen 66 kDa in Dreiecksform hat einen effektiven Durchmesser von 7 nm, womit es eigentlich durch die 8 nm-Poren passieren könnte. Allerdings ist Albumin stark negativ geladen, sodass weniger als 0,1% aller Albuminmoleküle das Filter tatsächlich passieren.

 

Mikroalbuminurie

 

Auch von dieser kleinen filtrierten Albuminmenge wird das meiste im proximalen Tubulus wieder aufgenommen. Beim Gesunden werden weniger als 30 mg Albumin pro Tag im Urin ausgeschieden. Interessanterweise erhöht sich diese Menge bei manchen Menschen, besonders Jugendlichen, im Stehen oder Sitzen: man spricht von orthostatischer Proteinurie, die keinen Krankheitswert hat. Abgesehen von dieser Sondersituation spricht man bei einer Ausscheidung zwischen 30 und 300 mg pro Tag von Mikroalbuminurie, die einen sensitiven Parameter für Glomerulumschädigung, z. B. durch Hypertonie oder Diabetes, darstellt.

 

Glomeruläre Filtrationsrate

 

Bei einem jungen, männlichen, 70 kg schweren Erwachsenen beträgt das filtrierte Gesamtvolumen etwa 180 Liter pro Tag, oder 125 ml/min. Renale Filtration korreliert besser mit der Körperoberfläche als mit dem Gewicht. Da die Körperoberfläche eines Einheitsmenschens mit 1,73 m2 angenommen wird, wird diese "normale" (in Wirklichkeit: optimale) Filtrationsrate für Männer in der Regel als 125 ml/min pro 1,73 m2 ausgedrückt. Bei jungen Frauen beträgt der entsprechende Wert 110 ml/min pro 1,73 m2.

Die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) ist stark vom Alter abhängig: bis zum Alter von zwei Jahren haben Kinder wegen noch unvollständig entwickelter Nieren niedrigere Filtrationsraten. Bei einem jungen Erwachsenen enthält jede Niere etwa 1 Million Nephrone. Typisch für den Alterungsprozess ist der von da an auftretende, fortschreitende Verlust von Nephronen, der einen allmählichen Rückgang der GFR mit sich bringt.

Wie misst man die GFR? Den experimentellen Goldstandard stellt die Inulinclearance dar. Inulin ist ein wasserlösliches, nicht toxisches Polysaccharid, das aus Pflanzen extrahiert wird. Es wird frei filtriert und danach im Tubulus weder absorbiert noch sezerniert. Wird der Plasma-Inulinspiegel durch Dauerinfusion konstant gehalten, entspricht die im Urin über eine gewisse Zeit ausgeschiedene, gemessene Menge der filtrierten Menge:

Inulin-Plasmakonzentration x GFR=Inulin-Harnkonzentration x Harnvolumen/Sammelzeit

sodass die GFR leicht aus dem Quotienten der Konzentrationen, multipliziert mit dem Harnvolumen/Sammelzeit berechnet werden kann.

Bei normaler Nierenfunktion ist die Inulinkonzentration im Urin um vieles höher als im Plasma, da das gesamte Inulin ausgeschieden wird, der Großteil des filtrierte Wassers jedoch in Tubulus und Sammelrohr rückresorbiert wird. Mit anderen Worten, annähernd das gesamte filtrierte Volumen wurde von Inulin befreit, Englisch: cleared. Die Inulinclearance entspricht daher der GFR.

Allgemein ausgedrückt ist die Clearance einer gelösten Substanz jenes virtuelle Plasmavolumen, das pro Zeiteinheit von der Substanz durch Ausscheidung mit dem Urin befreit wird. Das Spektrum der Clearance liegt zwischen folgenden beiden Extremen:

  • Null, wie z. B. für Glucose, welche beim Gesunden quantitativ rückresorbiert wird, sodass nichts davon ausgeschieden wird
  • "Alles", das sind etwa 700 ml/min oder das gesamte Plasma, das die Nieren in einer Minute erreicht, für Substanzen, die im Tubulus so effizient sezerniert werden, dass die gesamte in diesem Plasmavolumen enthaltene Substanzmenge nach einem einzigen Nierendurchlauf im Urin ausgeschieden wird. Das trifft, wie wir gesehen haben, für infundiertes Paraaminohippurat zu, das deswegen zur Messung der Nierendurchblutung verwendet werden kann.

Die Bestimmung der Inulinclearance stellt eine historisch etablierte, präzise Methode zur Messung der GFR dar, doch ist die Messung von Inulinkonzentrationen zu mühsam für die klinische Routine. Leichter messbar ist z. B. Iohexol, ein ursprünglich als Röntgenkontrastmittel verwendetes Molekül, das über sehr ähnliche Verteilungs- und Ausscheidungscharakteristika verfügt.

Auch mit Iohexol und anderen Alternativen bleibt die Bestimmung der GFR arbeitsaufwendig. Einserseits müssen die Substanzen appliziert, andererseits immer noch recht aufwendig gemessen werden. Bei Iohexol wird meist die Plasmaclearance bestimmt, d. h., es wird nicht die Konzentration im Urin bestimmt, sondern die abnehmende Plasmakonzentration in einer Reihe von Messungen.

Viel angenehmer wäre es, eine Substanz zu verwenden, die von unserem Organismus selbst mit konstantem Spiegel produziert, frei filtriert und im Tubulus weder absorbiert noch sezerniert wird und obendrein einfach zu messen ist. Nun, eine solche ideale Substanz existiert nicht, doch Kreatinin kommt ihr ziemlich nahe.

 

Kreatinin-Clearance als Näherungswert für GFR

 

Kreatinin ist ein Abbauprodukt von Kreatin, das im Skelettmuskel in der Form von Phosphokreatin als Kurzzeitenergiespeicher fungiert. Kreatinin wird vom Muskel kontinuierlich freigesetzt. Es wird frei filtriert, doch leider auch ein wenig im Tubulus sezerniert. Allerdings ergibt die übliche, kolorimetrische Konzentrationsbestimmung in der Regel leicht überhöhte Plasmakreatininwerte, sodass sich die beiden Effekte gegenseitig aufheben.

Der Test wird in der Regel so durchgeführt, dass der Patient gebeten wird, über 24 h Urin zu sammeln und während dieser Zeit kein Fleisch zu essen, das natürlich reichlich Kreatinin enthält. Drei Parameter werden bestimmt: das Harnvolumen sowie die Kreatininkonzentration im 24-Stundenharn und im Plasma. Daraus kann die Kreatinin-Clearance analog wie vorher die Inulin-Clearance berechnet werden:

Kreatinin-Clearance (ml/min)= Kreatinin-Harnkonzentration/Kreatinin-Plasmakonzentration x Harnvolumen (ml)/ Sammelzeit (min); also 1440 min für 24 Stunden.

Wichtig ist, sich bewusst zu bleiben, dass eine Reihe von Faktoren die Verlässlichkeit dieses GFR-Näherungswerts beeinträchtigen kann. Einige Beispiele:

·      der Patient könnte es mit dem Harnsammeln nicht so genau genommen haben (wollte z. B. im Büro nicht mit riesiger dunkler Flasche auf dem Weg zum WC gesehen werden)

·      der Patient könnte trotz aller Ermahnungen heimlich seiner Leidenschaft für ein Steak nachgegeben haben

·      der Patient könnte ein Gesundheitsproblem haben, das in irgendeiner Weise die Skelettmuskulatur betrifft

·      der Patient könnte eine Funktionseinschränkung der Leber haben. Leber synthetisiert einen großen Teil des neu produzierten Kreatins

 

Serumkreatinin als Anhaltspunkt für die GFR

 

Die nächstniedrigere Sprosse auf der Verlässlichkeitsleiter besteht darin, das Harnsammeln überhaupt bleiben zu lassen und den Serumkreatininspiegel zur Einschätzung der GFR heranzuziehen. Theoretisch sollte eine Halbierung der GFR zu einer Verdoppelung des Plasma-Kreatininspiegels führen. In der täglichen Routine benützen wir 1 mg/dl als Grenzwert: jede Person, die diesen Wert unterschreitet, wird als mit akzeptabler Nierenfunktion  angesehen. Auf diese Weise entgeht uns allerdings ein beträchtlicher Prozentsatz von Patienten mit niedriger GFR, denen es immer noch gelingt, den Serumkreatininwert unter 1 mg/dl zu halten. Dazu gehören PatientInnen mit geringer Skelettmuskelmasse, z. B. zart gebaute Frauen oder Menschen im fortgeschrittenen Alter.

 

Estimated GFR (eGFR)

 

Um diese Mängel zu kompensieren, wurden Berechnungsmethoden entwickelt, die zusätzlich zur Kreatininwert empirisch bestimmte Korrekturfaktoren benützen, z. B. für Geschlecht, Alter oder afrikanische Herkunft, die in der Regel mit größerer Muskelmasse einhergeht. Eine dieser Berechnungsmethoden wurde durch die Modification of Diet in Renal Disease Study Group entwickelt und nach dieser MDRD-Formel benannt:

eGFR (ml/min)= 186 x serum creatinine (mg/dl)-1.154 x age-0.203 x [0.742 if female] x [1.210 if black]

Auch hier muss eine Sarkopenie berücksichtigt werden. Eine Möglichkeit ist die Cystatin C-Korrektur. Cystatin C ist ein Proteasehemmer, der von allen gekernten Zellen freigesetzt und nur durch Filtration (und anschließenden Abbau im Tubulus) eliminiert wird. Sein Plasmaspiegel kann zur Korrektur verwendet werden, da er im Gegensatz zu Kreatinin weniger von der Muskelmasse abhängig ist.

Parameter wie eGFR und der Albumin-Kreatinin-Quotient im Urin als Maß für Albuminurie haben prognostischen Wert für die Entwicklung der Nierenfunktion, aber auch, über die traditionellen Risikofaktoren hinaus, für die Entwicklung von Gefäßerkrankungen.

 

4. REGULATION DES Na+-HAUSHALTS UND DES EXTRAZELLULÄRVOLUMENS

 

In unserem extrazellulären Flüssigkeitskompartiment, das etwas mehr als ein Drittel unseres Gesamtkörperwassers ausmacht, tragen wir eine Menge Na+ mit uns. Das Leben auf unserem Planeten begann im Meer, und wir tragen in unserem Extrazellulärvolumen eine verdünnte Version (von 3,5% auf 0,9% Kochsalzlösung, oder von etwa 480 auf 140 mmol/l Na+ und von etwa 550 mmol/l auf 110 mmol/l Cl) unseres privaten Meeres mit uns herum. Dieses "innere" Meer müssen wir sorgfältig erhalten. Umgekehrt ist etwa 65% des gesamten Na+ unseres Körpers im Extrazellulärvolumen gelöst. Zusätzliche 5-10% befinden sich intrazellulär. Zusammengezählt sind diese 70-75% die "austauschbaren" Na+-Speicher. Austauschbar deshalb, weil bei Versuchen mit radioaktivem Na+ sich diese Na+-Anteile rasch mit dem injizierten Na+ äquilibrieren. Der Rest ist offensichtlich nicht rasch austauschbar, das heißt, osmotisch inaktiv und in irgendeiner Form gebunden, hauptsächlich in Haut, Muskel und Knochen.

Nicht-austauschbares Na+ wurde in der Haut nachgewiesen, wo es wahrscheinlich an Glykosaminoglykane gebunden ist. Dort vor Ort ist es osmotisch nicht vollständig inaktiv, sondern eher in einem hyperosmotischen Kompartiment eingeschlossen, dessen Zugänglichkeit durch die lokale Dichte lymphatischer Gefäße beeinflusst wird. Die Dichte dieser Gefäße wiederum wird durch Makrophagen über freigesetztes VEGF-C (vascular endothelial growth factor-C) reguliert. Wahrscheinlich erhöht eine salzreiche Ernährung mit der Zeit diesen Speicher an nicht-austauschbarem Na+, der generell mit dem Alter zunimmt und bei Menschen mit Bluthochdruck größer ist als bei normotensiven Probanden. Unser Wissen über diesen nicht-austauschbaren Na+-Speicher ist äußerst unzulänglich; experimentelle Daten lassen vermuten, dass er über längere Zeiträume eben doch als Puffer fungiert und zur Entstehung des salzsensitiven Bluthochdrucks beiträgt. In Experimenten im Rahmen einer Raumfahrtsimulation hielten die Probanden über Monate eine exakt fixierte Na+-Zufuhr ein. Dabei wurden Oszillationen im Gesamtnatrium der Probanden im Ausmaß von 200-400 mmol festgestellt, einerseits in einem Wochenrhythmus, andererseits in einem Rhythmus mit der Dauer von einem Monat oder länger. Während unser Na+-Haushalt also im Großen und Ganzen im Gleichgewicht ist (Zufuhr gleich Ausfuhr), trifft das wegen dieser Speicherphänomene nicht unbedingt für spezifische 24-Stunden-Perioden zu.

Ein Gramm Salz enthält 17 mmol NaCl. Führen wir unserem Körper 140 mmol (8,2 g) NaCl  zu, weitet das aus osmotischen Gründen unser inneres Meer, unser Extrazellulärvolumen, um etwa einen Liter aus. Bei der heute in den Industrieländern vorherrschenden Ernährungsweise nehmen wir eine Menge Salz zu uns. Das was allerdings nicht immer so.

Bis vor wenigen tausend Jahren war es gar nicht so einfach, unser inneres Meer zu erhalten, da Na+ in der Ernährung einen Mangelfaktor darstellte. Unser Organismus ist daher darauf optimiert, Salz zurückzuhalten. Für Millionen von Jahren war der menschliche Organismus mit folgendem Problem konfrontiert: Unser inneres Meer besteht hauptsächlich aus Wasser und Salz; während Wasser als Voraussetzung zum Leben vorhanden sein musste und zum regelmäßigen Auffüllen zur Verfügung stand, war das mit Salz nicht der Fall. Der menschliche Körper musste außerdem viele wasserlösliche Substanzen (z. B. Harnstoff) ausscheiden, Salz aber retinieren.

Das Problem lösen unsere Nieren. Jeden einzelnen Tag filtrieren wir etwa 180 Liter inneres Meer, das (180x140 mmol) 25 mol Salz enthält. Das sind etwa 1,5 kg Salz, während unsere tägliche Zufuhr nur aus wenigen Gramm besteht! Es gibt nur einen Ausweg: wir müssen 99,5% allen filtrierten Salzes rückresorbieren. Das wird in Schritten erreicht: 67% des filtrierten Na+ wird im proximalen Tubulus resorbiert, hauptsächlich im Austausch gegen H+.  Weitere fünfundzwanzig Prozent absorbieren wir im dicken aufsteigenden Teil der Henle-Schleife durch Kotransport von Na-K-2Cl. Im distalen Konvolut werden weitere 5% durch Na-Cl-Kotransport aufgenommen. Die Feinregulation der Na+-Ausscheidung wird durch das Renin-Angiotensin-Aldosteronsystem kontrolliert, das die Rückresorption der letzten 0-3% im Sammelrohr durch Regulation des epithelialen Na+-Kanals (ENaC) bewirkt.

 

Betrachten wir die einzelnen Tubulussegmente im Detail:

·      Im proximalen Tubulus besteht ein großes Na+-Gefälle zwischen den 140 mmol/l im Filtrat und dem Zytoplasma der Tubuluszelle, das durch die blutseitige Na-K-ATPase dauernd leergepumpt wird. Zusätzlich produziert dieser Pumpvorgang ein zum Zellinneren negatives elektrisches Potential, da mehr Na+ die Zelle verlässt als K+ hereinkommt. Der kräftige kombinierte elektrochemische Gradient treibt einen Na+-Wasserfall ins Zellinnere, dessen Energie dazu genutzt wird, Glucose, Aminosäuren, Phosphat, Zitrat und viele andere Substanzen aus dem Primärharn kozutransportieren. Dieser Einstrom wird einfach dadurch ermöglicht, dass die entsprechenden "Mühlen" (Kotransporter) in die apikale Membran eingebaut werden. Aus dem quantitativen Blickwinkel ist allerdings ein anderer Mechanismus am wichtigsten: die Energie des Na+-Wasserfalls wird auch dazu benützt, mit Hilfe des Na-H-Exchangers (NHE) H+ in das Tubuluslumen zu pumpen, um wertvolles HCO3 rückzuresorbieren. Die Geschwindigkeit dieses Austausches hängt von der intrazellulären Protonenproduktion ab. H+ und HCO3 werden im Zytoplasma durch Carboanhydrase II generiert; HCO3 und Na+ verlassen die Zelle basolateral Richtung Blut. Zahlreiche Aquaporin-Einheiten in der apikalen Membran erlauben es dem Wasser, dem Na+ zu folgen, sodass Volumen isoton rückresorbiert wird. Apikaler Einstrom von Na+ in die Zellen und basolateraler Ausstrom von K+ aus der Zelle bauen eine Lumen-negatives transepitheliales Potential auf (Vorsicht: nicht mit dem Transmembranpotential verwechseln!), das einen Teil des basolateral ausgeschleusten Na+ über den parazellulären Weg wieder zurück ins Lumen lockt.

Pharmakologische Querverstrebung: Acetazolamid bremst Carboanhydrase und reduziert dadurch die Menge an H+, die zum Austausch gegen Na+ verfügbar ist. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als müsste das einen gigantischen diuretischen Effekt auslösen. Tatsächlich ist der Effekt aber relativ mild, da spätere Nephronsegmente kompensatorisch mehr Na+ aufnehmen. Diese Kompensationseffekte bewirken auch eine Tendenz zu K+-Verlust. Acetazolamid ist als Diuretikum obsolet, wird aber noch zur Behandlung des Glaukoms und einiger weiterer Erkrankungen eingesetzt.

·      Neben dem weiter aktiven Na-H-Exchanger treiben im dicken aufsteigenden Teil der Henle-Schleife Na+- und Cl -Gradienten die Aufnahme über den Na-K-2Cl-Cotransporter in die Zelle. Der limitierende Faktor ist dabei K+, das extrazellulär niedrig ist und von den anderen gegen seinen Konzentrationsgradienten widerstrebend mitgeschleppt wird. Damit mehr K+ für diesen Vorgang verfügbar wird, sind in der apikalen Membran ungewöhnlich viele K+-Kanäle (ROMK, renal outer medullary K+ channel) vorhanden, durch die K+ aus der Zelle ausrinnt. Das führt zu einem Lumen-positiven transepithelialen Potential, das eine treibende Kraft für parazellulären Na+-Transport Richtung Blut darstellt. Etwa 50% der Na+-Aufnahme im dicken aufsteigenden Segment erfolgt über diesen passiven Transport. Derselbe Mechanismus treibt selbstverständlich auch die passive Rückresorption der anderen Kationen wie Ca2+ und Mg2+. Eine besondere Eigenschaft des dicken aufsteigenden Teils der Henle-Schleife ist die besonders niedrige Wasserdurchlässigkeit seiner apikalen Membran, die auf den individuellen Besatz mit Transmembranproteinen zurückzuführen ist (keine Aquaporine, z. B.). Auch die tight junctions zwischen den Zellen sind weit weniger wasserdurchlässig als in anderen Segmenten. Diese tight junctions enthalten spezialisierte Claudine, die das Kunststück fertigbringen, Na+ (Claudin 10b), Ca2+ und Mg2+ (Claudine 16 und 19) parazellulär durchzulassen, aber kaum Wasser. In Summe wird also Na+ aus dem Tubulus heraustransportiert, während Wasser drin bleibt: das führt zu einer verdünnten, hypoosmolaren Flüssigkeit am Ende dieses "Verdünnungssegments", während im Interstitium eine gegenüber dem Tubulusinhalt um jeweils bis zu 200 mOsm erhöhte Osmolalität aufgebaut wird.

Pharmakologische Querverstrebung: Schleifendiuretika (Furosemid) blockieren den Na-K-2Cl-Cotransporter durch Kompetition mit der Cl-Bindungsstelle und lösen so einen starken diuretischen Effekt aus. Es kommt also viel Na+ und Cl am Ende dieses Segments an der Macula densa an. Normalerweise würde das über tubuloglomerulären Feedback eine massive Reduktion der GFR auslösen. Diese Reduktion wird aber durch die Macula densa-Zellen gerade über Cl-Aufnahme über den Na-K-2Cl-Cotransporter eingeleitet, der ja durch das Medikament blockiert ist. Dadurch ergeben sich keine Reduktion der GFR und eine starke Diurese. Auch der passive Kationentransport wird vermindert, wodurch sich Ca2+- und Mg2+-Verluste ergeben. Wie wir schon früher überlegt haben, erhöht Hypokalzämie die Öffnungswahrscheinlichkeit von Na+-Kanälen in Nerven- und Muskelzellen und steigert dadurch die Krampfbereitschaft. Schleifendiuretika können auf diese Weise sekundären Hyperparathyroidismus zur Folge haben; umgekehrt können sie in der Behandlung der Hyperkalzämie eingesetzt werden. Klar ist, dass spätere Nephronsegmente versuchen, den Na+-Verlust zu kompensieren, wodurch vermehrt K+ ausgeschieden wird. Die Erklärung dieses Mechanismus folgt im Abschnitt über Aldosteron.

·      Bis zum distalen Konvolut hat der Verdünnungseffekt die Na+-Konzentration auf etwa 70 mmol/l reduziert. Das ist immer noch fünf Mal so viel wie im Zellinneren. Na+ rinnt apikal über den Na-Cl-Cotransporter in die Zelle hinein und wird basolateral über die Na+-K-ATPase wieder hinausgepumpt.

Pharmakologische Querverstrebung: Thiaziddiuretika wie Hydrochlorothiazid bremsen den Na-Cl-Cotransporter. Auch hier gilt, dass weiter distal versucht wird, den Na+-Verlust zu kompensieren, wodurch K+ vermehrt ausgeschieden wird.

·      Im Sammelrohr betritt Na+ die Zelle über epitheliale Na+-Kanäle (ENaC), die unter Kontrolle von Aldosteron und ANP stehen. Aldosteron steigert die Zahl offener Na+-Kanäle, ANP senkt sie. Dieser Einstrom ist elektrogen, da Na+ ohne Anion-Begleitung in die Zelle kommt. Das ist ein wesentlicher Unterschied zur elektroneutralen Aufnahme in den vorherigen Abschnitten und führt zum indirekten Austausch gegen K+, wie wir im Abschnitt zu Aldosteron gleich sehen werden.

Pharmakologische Querverstrebung: Amilorid und Triamteren blockieren den ENaC. Aldosteronantagonisten wie Spironolacton und Finerenon blockieren den Mineralocorticoid-(Aldosteron)-Rezeptor. Der Effekt dieser Diuretika ist mild, da sie nur jene letzten 3% des Na+ betreffen, die zu diesem Zeitpunkt noch im Lumen verblieben sind. Bei diesen "kaliumsparenden" Medikamenten ergeben sich keine K+-Verluste, im Gegenteil, K+ wird eher retiniert.

 

Atriales natriuretisches Peptid (ANP)

 

ANP wird von Herzmuskelzellen der Vorhöfe freigesetzt, wenn diese durch Volumenbelastung stärker gedehnt werden. ANP ist ein Polypeptid aus 28 Aminosäuren, das an einen Rezeptor mit Guanylatzyklaseaktivität bindet, sodass cGMP sein second messenger ist. ANP hat Nieren- und allgemeine Effekte:

1.    In der Niere steigert es die Na+- und Wasserausscheidung:

- ANP schließt apikale Na+-Kanäle (ENaC) und reduziert dadurch die Na+-Resorption.

- Es steigert GFR und Filtrationsfraktion, indem es das Vas afferens dilatiert – was am Vas efferens geschieht, ist beim Menschen nicht hinreichend untersucht. Durch den erhöhten Druck im Glomerulum verstärkt es jedenfalls die Durchblutung von Rinde und Mark und wäscht so in Summe den osmotischen Gradienten im Nierenmark tendenziell aus. Zusätzlich reduziert es die Sensitivität des glomerulotubulären Feedbacks.

2.    Erst bei höheren Konzentrationen wirkt ANP auch im allgemeinen Kreislauf dilatierend, sodass sich eine Senkung des systemischen Blutdrucks ergibt. Dieser zweite Effekt limitiert dann den ersten, da eine Blutdrucksenkung die GFR tendenziell vermindert und damit auch die Ausscheidung von Na+ und Wasser.

Die Wirkung von ANP bei der Volumenregulation hängt von den Rahmenbedingungen ab:

·      Beim Gesunden ist ANP ein Hauptakteur der Na+-Elimination bei Volumenbelastung. Das RAAS ist in diesem Fall nicht aktiv.

·      Sind jedoch beide Systeme gleichzeitig aktiviert, ist ANP kein ernstzunehmender Gegenspieler gegen das mächtige Renin-Angiotensin-Aldosteron-System. Patienten mit Herzinsuffizienz haben hohe ANP-Spiegel, retinieren Na+ jedoch gleichzeitig massiv.

Bei Menschen mit Übergewicht oder Diabetes mellitus Typ 2 ist der ANP-Spiegel erniedrigt. Über Na+- und Wasserretention könnte das zu einer verstärkten Herzbelastung und zur Entwicklung von Hypertonie beitragen.

Der Effekt des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems auf das Extrazellulärvolumen

Renin

Eine Senkung des effektiven Kreislaufvolumens verstärkt die Reninsekretion auf drei Arten:

1.    Deaktivierung von Dehnungsrezeptoren in der afferenten Arteriole führt zu einer direkten Ausschüttung aus den granulären Zellen in der Wand der Arteriole.

2.    Deaktivierung von Dehnungsrezeptoren (Barorezeptoren) in Carotissinus und Aortenbogen führt über verstärkte sympathische Impulse via adrenergen β1-Rezeptoren zur Ausschüttung.

3.    Über denselben Mechanismus, der den tubuloglomerulären Feedback mediiert, wird auch die Reninausschüttung angekurbelt. Kommt mehr NaCl bei der Macula densa an, wird die GFR reduziert. Kommt weniger NaCl bei der Macula densa an, führt auch die verminderte Aufnahme von Cl über den Na-K-2Cl-Cotransporter zu einer Reaktion, nämlich einer Reninausschüttung. Wie die Botschaft von Macula densa-Zellen zu den granulären Zellen gelangt, ist noch nicht geklärt; möglicherweise über veränderte Prostaglandinproduktion.

Nicht aus den Augen verlieren sollten wir die Tatsache, dass Reninausschüttung über eine verstärkte Sympathikusaktivität auch ohne Senkung des Kreislaufvolumens auftreten kann. In diesem Fall entsteht eine Erhöhung des Kreislauf- und Extrazellulärvolumens, die bei der Entwicklung von arteriellem Bluthochdruck eine wichtige Rolle spielt.

 

Angiotensin II

Das im Vas afferens freigesetzte Renin schneidet als Protease das Dekapeptid Angiotensin I aus dem α2-Plasmaglobulin Angiotensinogen, das ständig von der Leber sezerniert wird. Angiotensin I wird durch angiotensin converting enzyme (ACE), das membranständig auf Endothelzellen exprimiert wird, durch Entfernung von 2 Aminosäuren zum Octapeptid Angiotensin II verkleinert. Viel ACE findet sich auf den Endothelzellen der Lunge, aber auch den Endothelzellen der glomerulären Kapillaren. Die Nierengefäße bekommen also sowohl das systemische, als auch das lokal im Glomerulum produzierte Angiotensin II zu "sehen". Das hat die Auswirkung, dass die Angiotensin II-Konzentration am Vas efferens höher ist, und sich der Angiotensin II-Effekt am Vas efferens stärker auswirkt als am Vas afferens.

  Die meisten Effekte von Angiotensin II werden über den AT1-Rezeptor vermittelt:

·      Eine am Vas efferens stärker ausgeprägte Konstriktion erhöht die Filtrationsfraktion und vermindert die Durchblutung der nachgeschalteten peritubulären Kapillaren. Eine Erhöhung der Filtrationsfraktion bringt automatisch eine Erhöhung des kolloidosmotischen Drucks im Blut, das zur Medulla geht, mit sich. In Kombination mit einem reduzierten Auswaschen des osmotischen Gradienten in der Medulla verbessern diese Effekte die Voraussetzungen für die Wasserresorption.

·      Angiotensin II verstärkt die Sensitivität des tubuloglomerulären Feedback-Mechanismus. Erreicht eine gegebene Konzentration von Cl die Macula densa, führt das unter Angiotensin II zu einer stärkeren Reduktion der GFR.

·      Angiotensin II verstärkt, wie Noradrenalin, die Expression des Na-H-Exchangers im proximalen Tubulus und dem dicken aufsteigenden Teil der Henle-Schleife und ermöglicht so eine höhere Rückresorptionskapazität. Angiotensin II ist also bereits ohne Berücksichtigung von Aldosteron in der Lage, die Na+-Resorption zu verstärken.

·      Angiotensin II führt über längere Zeiträume, ähnlich wie im Herzmuskel, auch in den Tubuluszellen zu einer Hypertrophie.

·      Im Hypothalamus verstärkt Angiotensin II über Rezeptoren auf Neuronen im Organum subfornicale das Durstgefühl, den Salzappetit und die Freisetzung von AVP/ADH.

·      Selbstverständlich stimuliert Angiotensin II in der Zona glomerulosa der Nebennierenrinde die Synthese von Aldosteron.

Alle diese Wirkungen tragen dazu bei, das Extrazellulärvolumen zu erhalten oder auszuweiten.

 

Aldosteron

 

Aldosteron hat zwei Hauptfunktionen: einerseits ist es unser Na+-Sparhormon, andererseits ist es notwendig zur Ausscheidung von K+-Überschüssen. Aldosteron wird also einerseits durch Angiotensin II angekurbelt, andererseits durch einen Anstieg der Plasma-K+-Konzentration.

Aldosteron hat einen dreifachen Effekt auf die Hauptzellen des Sammelrohrs.

1.    Es induziert Na-K-ATPase. Im Sammelrohr ist eine Verstärkung dieser Pumpaktivität über das Niveau in anderen Tubulusabschnitten hinaus notwendig, da auch hier der Eintritt von Na+ über ENaC passiv dem Konzentrationsgefälle folgt und damit nur dann erfolgt, wenn das intrazelluläre Na+ besonders niedrig ist. Im Urin kann die Na+-Konzentration bis auf 3 mmol/l gedrückt werden, was bedeutet, dass sie in Sammelrohrzellen noch etwas niedriger sein muss. In normalen Körperzellen liegt die Na+-Konzentration um 15 mmol/l.

2.    Es führt zur Vergrößerung der basolateralen Membranoberfläche, sodass mehr Na-K-ATPase-Einheiten untergebracht werden können.

3.    Es induziert den apikalen epithelialen Na+-Kanal (ENaC).

Indirekter Na+-K+-Austausch: Durch Aldosteronwirkung passiert mehr Na+ die apikale Membran. Der Einstrom dieser positiven Ladung hat auch Auswirkungen auf das Membranpotential. Das Membranpotential wird ja in erster Linie durch aus der Zelle aussickerndes K+ eingestellt, das sich selbst limitiert, wenn die akkumulierenden positiven Ladungen außen und negativen Ladungen innen einen weiteren Ausstrom elektrostatisch verhindern. Einströmendes Na+ verringert nun diese Spannung, sodass wieder mehr K+ ausströmen kann. Je mehr Na+ also unter Aldosteroneinfluss hereinkommt, desto mehr K+ wird netto sezerniert. Wird die Na+-Rückresorption in vorhergehenden Nephronabschnitten durch Diuretika wie Furosemid oder Thiazide gehemmt, wird viel K+ im Urin ausgeschieden. Ist nur mehr wenig Na+ in der das Sammelrohr erreichenden Flüssigkeit, ist die K+-Sekretion gering. Daher ist dieses Verhältnis auch abhängig von der Flussrate: tendenziell wird bei niedrigem tubulären Fluss ein größerer Anteil des Na+ in vorhergehenden distalen Tubulussegmenten mit Cl aufgenommen und ein geringerer Anteil gegen K+ ausgetauscht.

Aldosteron hat auch in anderen Organen eine Na+-retinierende Wirkung: im Darmepithel, besonders im Kolon, in den Schweißdrüsen und in der Plazenta. Außerdem fördert es in Kooperation mit Angiotensin II den Salzhunger im ZNS. Die entsprechenden Aldosteron-reponsiven Neuronen liegen im Nucleus tractus solitarii in der Medulla oblongata.

 

Glucocorticoide

 

Physiologisch steigern Glucocorticoide die GFR und verringern die Permeabilität des distalen Nephrons für Wasser. Auf diese Weise steigern sie den Nephrondurchfluss, sodass mehr Na+ das Sammelrohr erreicht, sodass über den gerade beschriebenen Mechanismus die K+-Sekretion erhöht wird. Cortisolwirkung hat eine mineralocorticoide Komponente. Cortisolmangel bei Nebenniereninsuffizienz führt daher neben anderen Symptomen auch zu Hyponatriämie, Hypovolämie und erniedrigtem Blutdruck.

Cortisol und Aldosteron sind sehr ähnliche Moleküle. Zwar gibt es zwei separate Rezeptoren, Glucocorticoid- und Mineralocorticoidrezeptor, doch werden diese durch beide Hormone gebunden und aktiviert. In jenen Zellen, die auf Aldosteron reagieren sollten, entsteht dadurch ein Problem: Cortisol mit seiner weit höheren molaren Konzentration würde sämtliche Mineralocorticoidrezeptoren aktivieren und damit eine unregulierte, gigantische Aldosteronwirkung auslösen. Um das zu verhindern, exprimieren diese epithelialen Zellen das Enzym 11β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase 2 (11β-HSD2), das Cortisol zu Cortison konvertiert. Cortison bindet nicht mehr an den Mineralocorticoidrezeptor (und auch nicht an den Glucocorticoidrezeptor).

Pharmakologische Querverstrebung: Werden Glucocorticoide als Medikament eingesetzt, überwältigt die hohe molare Konzentration die Fähigkeit der 11β-HSD2, den Mineralocorticoidrezeptor vollständig zu schützen. Je höher daher die Glucocorticoiddosis, desto höher der Anteil, der den Mineralocorticoidrezeptor besetzt und desto ausgeprägter der aldosteronartige Effekt, der z. B., Bluthochdruck auslösen kann. Glycyrrhicin, ein Inhaltsstoff der aus Süßholz gewonnenen Lakritze, hemmt die 11β-HSD2 und kann so den Effekt verstärken oder dosisabhängig auch alleine eine Na+- und Flüssigkeitsretention und Bluthochdruck auslösen.

Aldosteronantagonisten sind kompetitive Hemmer des Mineralocorticoidrezeptors (MR). Sie sind also eigentlich "Mineralcorticoidantagonisten", da ja auch Cortisol den MR aktiviert. Der MR wird, wie der Glucocorticoidrezeptor, in allen Zellen exprimiert und wirkt dort als ligandabhängiger Transkriptionsfaktor. Man kann seine Wirkung daher nicht auf die Na+-retinierenden Funktionen reduzieren. In nicht-epithelialen Zellen wird keine 11β-HSD2 exprimiert, sodass Cortisol den MR dort ungehindert aktivieren kann.  Chronische Aktivierung des MR hat eine tendenziell entzündungs- und fibrosefördernde Wirkung, die sich auch als Arterienwandversteifung niederschlägt. Diesen Effekten wirken anscheinend neue, nichtsteroidale Aldosteronantagonisten wie Finerenon besser entgegen als die steroidalen Antagonisten wie Spironolacton oder Eplerenon.

 


ADH oder AVP

 

ADH (Antidiuretisches Hormon = AVP, Arginin-Vasopressin), ein Nonapeptid, wird in den Neuronen des Nucleus supraopticus und des Nucleus paraventricularis des Hypothalamus synthetisiert. Neuronen dieser Nuclei werden durch Osmorezeptor-Neuronen stimuliert, die noch außerhalb der Blut-Hirn-Schranke in zwei zirkumventrikulären Organen liegen: dem Organum vasculosum laminae terminalis und dem Organum subfornicale. Die Aktionspotentialfrequenz dieser Osmorezeptor-Neurone wird durch mechanosensitive Kationenkanäle moduliert, die auf osmotisch bedingtes Schwellen und Schrumpfen reagieren.

Separate, aber parallel agierende Osmorezeptor-Neurone in denselben Organen projizieren auch auf die Hypothalamusregionen, die das Durstgefühl erzeugen.

Steigt die Plasmaosmolalität, wird zunehmend mehr ADH über den Hypophysenhinterlappen ausgeschüttet. Gewöhnlich wird unter 280 mOsm kein ADH sezerniert. Es gibt aber eine Ausnahme: bei starker Abnahme des Kreislaufvolumens wird ADH auch dann freigesetzt, wenn die Plasmaosmolalität niedrig ist. In diesem Fall hat der Sekretionsstimulus seinen Ursprung in den Barorezeptoren im Hochdrucksystem, Carotissinus und Aortenbogen, sowie im Niederdrucksystem, den Herzatrien. ADH-Sekretion reagiert viel empfindlicher auf Osmoveränderungen als auf Volumenveränderungen. Ein Anstieg der Plasmaosmolalität von 1-2% genügt zur Sekretion, während der Verlust im Kreislaufvolumen oder Blutdruck mindestens 10-15% betragen muss. Wird diese Volumenschwelle allerdings erreicht, steigt die ADH-Sekretion auf weitere Verluste exponentiell.

Da ADH ein Produkt des Hypothalamus ist, beeinflussen auch zentralnervöse Stimuli seine Ausschüttung. In leicht dehydrierten Mäusen bremst schon die sensorische Wahrnehmung von verfügbarem Wasser innerhalb von Sekunden die Ausschüttung von ADH, vor noch irgendeine Veränderung in der erhöhten Osmolalität auftritt. In der Literatur wurde berichtet, dass beim Menschen Schmerz, Übelkeit, IL‑6, erhöhte Körpertemperatur und Hypoglykämie die ADH-Ausschüttung steigern. ADH reagiert also nicht nur auf Osmolalität, sondern ist auch Teil der akuten Stressantwort des Organismus ("Bei Gefahr halten wir unsere Wasserreserven besser zurück").

Das Hormon hat eine kurze Halbwertszeit von etwa 20 Minuten. Abhängig vom Ausgangswert dauert es daher 1-2 Stunden, bis nach einer kräftigen Wasseraufnahme Diurese eintritt.

Routinewirkungen über den V2-Rezeptor:

·      Im distalen Nephron und Sammelrohr aktiviert ADH den V2-Rezeptor oder AVPR2, ein Gs-gekoppelter Rezeptor, der über cAMP wirkt. PKA-mediierte Proteinphosphorylierung führt zur Fusion von Aquaporin‑2-besetzten Vesikeln mit der Plasmamembran und steigert so deren Permeabilität für Wasser. Auf diese Weise kann die Wasserresorption im distalen Nephron um das zehnfache gesteigert werden. Längerdauernde ADH-Stimulation induziert zusätzlich die Aquaporin‑2-Genexpression, sodass eine höhere Anzahl von Wasserkanälen pro Zelle erreicht wird.

·      Abgesehen davon erhöht ADH im medullären Sammelrohr gezielt die Permeabilität für Harnstoff über Vermehrung und Phosphorylierung von UT-A (urea transporter A; SLC14A2). Diese zweite Funktion ist wesentlich dafür, dass Harnstoff-Rückführung ins Interstitium zum Aufbau eines Milieus höchster Osmolalität ermöglicht wird. Der Grad der Hyperosmolalität bestimmt die maximal erreichbare Harnkonzentrierung, da der ausgeschiedene Urin unter maximaler Antidiurese isoton mit dem inneren Nierenmark ist.

·      Im dicken aufsteigenden Teil der Henle-Schleife steigert ADH die NaCl-Resorption durch Stimulierung des Na-K-2Cl-Cotransports.

Wirkungen in starken Stresssituationen über den V1-Rezeptor:

·      Nur bei maximaler Ausschüttung in akuten Stresssituationen agiert das Peptid tatsächlich im Sinne seines Namens als "Vasopressin". Dabei bringt es glatte Muskelzellen in der Wand von Arteriolen über den AVP-Rezeptor1a (V1a-Rezeptor) zur Kontraktion.

·      Ein zweiter renaler Effekt über den V1-Rezeptor besteht darin, in vielen Zelltypen die Produktion von Prostaglandinen zu stimulieren, z. B. in Mesangium- und Tubuluszellen. Die Prostaglandine wirken vasodilatierend und sind wahrscheinlich wichtig, um GFR und Nierendurchblutung unter Antidiuresebedingungen zu erhalten.

Pharmakologische Querverstrebung: der verbreitete Einsatz von NSAIDS setzt diesen Schutzmechanismus außer Kraft.

·      V1a-Rezeptoren finden sich auch auf Hepatozyten und Blutplättchen, wohl um unter solchen Stressbedingungen Gluconeogenese und Gerinnungsbereitschaft zu fördern.

·      Über AVPR1b auf kortikotropen Zellen im Hypophysenvorderlappen wird die Freisetzung von ACTH gefördert.

Pharmakologische Querverstrebung:

·      ADH-steigernd wirken Nikotin, Morphin und Barbiturate

·      Hemmer der ADH-Sekretion sind Alkohol und Opiatantagonisten


Diabetes insipidus

 

Diabetes insipidus ("Durchfluss ohne Geschmack" im Gegensatz zum honigsüßen Durchfluss Diabetes mellitus) ist das Resultat einer gestörten ADH-Funktion, sei es durch einen Mangel des Hormons selbst (zentraler Diabetes insipidus; AVP‑D, AVP deficiency), sei es durch ein mangelndes Ansprechen der Niere (nephrogener Diabetes insipidus; AVP-R, AVP resistance). In beiden Fällen bleiben die distalen Teile des Nephrons zu wenig wasserdurchlässig, sodass der Patient große Mengen verdünnten Urins produziert (Polyurie). Der Wasserverlust reduziert das effektive Kreislaufvolumen und löst in den Patienten Durst aus, den sie mit großen Trinkmengen stillen (Polydipsie). Trinken die Betroffenen nicht ausreichend, kommt es bald zu Blutdruckabfall, Hypernatriämie und Schock.

Pharmakologische Querverstrebung:

Zentraler Diabetes insipidus kann mit dem synthetischen ADH-Analog DDAVP (steht für 1‑Desamino-8-D-Arginin-Vasopressin) behandelt werden, dass so klein ist, dass es auch als Nasenspray oder oral verabreicht aufgenommen wird.

Nephrogener Diabetes insipidus tritt manchmal als unerwünschte Nebenwirkung mancher Medikamente auf, z. B. Colchicin, das den Aquaporin-2-Vesikeltransport via Mikrotubuli hemmt, und Li+. Lithiumtherapie wird zur Behandlung bipolarer Störungen verwendet. Li+-Ionen vermindern cAMP, den second messenger von ADH, durch Hemmung der Adenylatcyclase.


SIADH

 

Das Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH, syndrome of inappropriate ADH secretion) stellt das Gegenstück zum Diabetes insipidus dar und ist durch zu hohe ADH-Spiegel im Verhältnis zur Osmolalität gekennzeichnet. Dadurch wird zu viel Wasser rückresorbiert, die Volumenregulation aktiviert und durch ANP-Wirkung ein relativ NaCl-reicher Urin ausgeschieden. Wasserretention in Verbindung mit Na+-Ausscheidung kann zu einer kritischen Hyponatriämie führen.

Umstände, unter denen SIADH auftreten kann:

·      Bestimmte maligne Tumoren sezernieren manchmal ADH oder ADH-ähnliche Peptide, z. B. kleinzellige Bronchuskarzinome

·      Erkrankungen des ZNS, wie z. B. traumatische Hirnverletzungen, Meningitis oder Encephalitis

·      Pneumonien, z. B. durch SARS-CoV-2 oder Tuberkulose.

·      Manchmal tritt SIADH im Zuge von chirurgischen Eingriffen auf, wahrscheinlich in Verbindung mit Afferenzen über Schmerzbahnen. Wahrscheinlich wird das Auftreten dieser Komplikation durch genetische Faktoren gefördert, doch sind die verantwortlichen Gene und Allele noch nicht bekannt.

·      SIADH trägt wahrscheinlich  zur sportassoziierten Hyponatriämie bei, die durch übermäßige Flüssigkeitszufuhr im Zuge von intensivem Ausdauersport verursacht wird. Starke Flüssigkeitszufuhr führt gewöhnlich einfach zur vermehrten Produktion von Urin. Wiederum wohl auf genetischer Basis retinieren manche Personen unter den Wettkampfstressbedingungen jedoch Flüssigkeit, entwickeln Hyponatriämie und im Extremfall hyponatriämische Encephalopathie, also ein  osmotisch bedingtes Hirnödem. Wie bei SIADH im Zuge chirurgischer Eingriffe wird die ADH-Sekretion hier durch andere als osmotische Stimuli ausgelöst. Die bei Hobbysportlern häufig feststellbare gleichzeitige Einnahme von Schmerzmitteln (NSAIDs) zur Prävention oder Behandlung von Schmerzen im Bewegungsapparat steigern das Problem durch Reduktion der GFR und der renalen Durchblutung. Am Ende des Boston-Marathons 2002 wiesen 13% der untersuchten TeilnehmerInnen eine Hyponatriämie auf.

·      Pharmakologische Querverstrebung: Überproduktion von ADH (zentrales SIADH) oder verstärktes renales Ansprechen (renales SIADH) kommt auch als unerwünschte Wirkung bei einer Reihe von Medikamenten vor, z. B. Opioiden, trizyklischen Antidepressiva oder den Chemotherapeutika Cyclophosphamid oder Vincristin.

Dasselbe Muster kann sich bei zwei endokrinen Mangelsyndromen ausbilden: Hypothyreose und Cortisolmangel (primär oder sekundär, überprüfbar mit einem ACTH-Stimulationstest): Cortisol hat im physiologischen Konzentrationsbereich eine leicht hemmende Wirkung auf die ADH-Sekretion. Da das Zuviel an ADH in diesen beiden Fällen sekundär und durch Hormonsubstitution behebbar ist, werden sie gewöhnlich nicht unter "SIADH" kategorisiert.

Schwangerschaft: ADH-Freisetzung und Durstgefühl treten in der Schwangerschaft bereits bei niedrigerer Osmolalität auf als sonst, um das benötigte höhere Blutvolumen sicherzustellen. Eine analoge, im Ausmaß aber geringere Verschiebung tritt häufig auch in der Progesteron-dominierten zweiten Zyklushälfte auf, sodass betroffene Frauen in dieser Zeit ein etwas höheres Gewicht auf die Waage bringen.

Pharmakologische Querverstrebung: ADH-Wirkung kann durch V2-Antagonisten wie Tolvaptan gebremst werden.

 

Hyponatriämie

 

Ursachen. Theoretisch wird Hyponatriämie entweder durch Verlust von Natrium oder durch Waserretention ausgelöst. Zwar können wir beträchtliche Mengen Natrium durch Erbrechen, Durchfall oder Schwitzen verlieren, doch ist die Na+-Konzentration in diesen Flüssigkeiten fast immer niedriger als jene unseres ziemlich salzigen Plasmas. Auf diese Weise erhöht sich die Na+-Konzentration unseres Extrazellulärvolumens eher, da wir mehr Wasser als Natrium verlieren. Hyponatriämie tritt folglich nur dann auf, wenn wir Wasser retinieren, bis wir zu viel Wasser im Verhältnis zum vorhandenen Na+ haben. Wir verfügen über eine außerordentlich große Wasserausscheidungskapazität, die dadurch aktiviert werden kann, dass wir die ADH-Ausschüttung auf null herunterfahren. In Abwesenheit von ADH kann die Osmolalität unseres Urins auf 40 mOsmol/kg fallen, was etwa einem Siebtel der Osmolalität des Plasmas (290 mOsmol/kg) entspricht. Hyponatriämie durch Wasserretention tritt also nur dann auf, wenn die ADH-Freisetzung nicht adäquat reduziert werden kann. Eine Ausnahme zu dieser Regel stellen nur jene Patienten dar, die auf Grund psychischer Erkrankungen so große Flüssigkeitsmengen zu sich nehmen, dass diese die Wasserausscheidungskapazität bei Null ADH überschreiten.

Anhaltende ADH-Ausschüttung trotz reduzierter Osmolalität tritt auf bei:

1.    Rückgang des effektiven Kreislaufvolumens:

·         Herzinsuffizienz

·         Leberzirrhose

·         Einsatz von Thiaziddiuretika in Kombination mit dem nächsten Punkt:

·         Partiell durch Wasser kompensierter elektrolythaltiger Flüssigkeitsverlust (renal, gastrointestinal, dermal)

2.    SIADH, wie gerade besprochen (paraneoplastisch, ZNS-Erkrankung, Tuberkulose, Operation, Überwässerung bei Ausdauersport, als Nebenwirkung von Medikamenten)

3.    Nebennierenrindeninsuffizienz (Cortisolmangel, Salzverlust durch Mineralocorticoidmangel)

4.    Hypothyroidismus

Bei manchen Patienten mit einer milden, asymptomatischen Hyponatriämie beruht diese auf einer leichten Sollwertverstellung ihres Osmostaten. Bei diesen Individuen liegt die Schwelle für die ADH-Ausschüttung etwas niedriger als beim normalen Wert von 280 mOsmol/kg, sodass ein etwas geringerer Plasmanatriumspiegel eingestellt wird. Bei diesen Personen kann und soll die Hyponatriämie nicht behandelt werden, da sie auf entsprechende Versuche nur mit verstärkter ADH-Ausschüttung und Durst reagieren.

Symptome. Hyponatriämie ist viel gefährlicher, wenn sie akut auftritt, als wenn sie schleichend entsteht. Akute Hyponatriämie führt durch den plötzlichen Abfall der extrazellulären Osmolalität zu einer abrupten Verschiebung von Wasser in die Zellen. Das ist für die meisten Zellen kein allzu großes Problem, sehr wohl jedoch für die Zellen im Gehirn, das durch den starren Schädel eingeschlossen ist. Das Gehirn kann maximal 7-8% Volumenzunahme dadurch kompensieren, dass Ventrikelflüssigkeit aus dem Schädel verschoben wird. Überschreitet die Volumenzunahme diesen Wert, werden Hirnanteile aus dem Foramen magnum herausgedrückt und klemmen den Hirnstamm ein. Das Hirnödem beginnt mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Verwirrtheit und verstärkt sich zu Krampfanfällen und Koma. Im schlimmsten Fall führt die Kompression des Hirnstamms zu Atemstillstand und Tod.

Entwickelt sich die Hyponatriämie jedoch langsam, zeigen die Hirnzellen eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit, indem sie sich osmotisch aktiver Substanzen entledigen. Dazu gehören K+ und Na+, aber auch organische Stoffe wie Myoinositol, Cholinmetaboliten, Glutamin und Glutamat. Durch diese Anpassung bleibt chronische Hyponatriämie meist über lange Zeit symptomlos.

Wird eine Hyponatriämie diagnostiziert und behandelt, ist es daher wichtig, zwischen diesen beiden Zuständen zu unterscheiden:

·      Die akute Hyponatriämie in einem überwässerten Marathonläufer kann rasch und sicher durch Zufuhr einer hypertonen Kochsalzinfusion behandelt werden. Durch die SIADH-Komponente muss die NaCl-Konzentration der Infusion höher sein, als jene im ausgeschiedenen Urin.

·      Dieselbe Intervention bei einem Patienten mit chronischer Hyponatriämie würde jedoch wahrscheinlich zu irreversiblen neurologischen Schäden führen, da der rasche Anstieg der extrazellulären Osmolalität zu einem plötzlichen massiven Wasserverlust der bereits adaptierten Hirnzellen führen und ein osmotisch bedingtes Demyelinisierungssyndrom (zentrale pontine Myelinolyse) auslösen würde. Die Korrektur muss in diesen Fällen extrem langsam und zunächst nur partiell erfolgen.

 

Hypernatriämie

 

Ursachen. Jeder Anstieg der Osmolalität über das normale Niveau löst starkes Durstgefühl aus. Hypernatriämie tritt daher bei nicht ersetzten Wasserverlusten auf, wenn der Durst nicht gelöscht werden kann oder die Entwicklung des Durstgefühls aus irgendwelchen Gründen nicht funktioniert.

Wasserverluste sind bedingt durch:

1.    Schwitzen und nicht wahrgenommene Verluste über Haut und Atmung: Menschen in der Wüste oder auf Booten auf dem Meer; Patienten mit Fieber und Infektionen

2.    Verluste über die Niere durch Diabetes insipidus oder osmotische Diurese bei Hyperglykämie

3.    Gastrointestinale Verluste

Symptome beinhalten Lethargie, Krämpfe und, schließlich, Koma. Wie bei Hyponatriämie sind die Symptome am ausgeprägtesten, wenn das Problem akut auftritt. Bei chronischer Hypernatriämie können erhöhte Natriumspiegel ohne zusätzliche Symptome, abgesehen von Durst, erreicht werden.

Hypernatriämie ergibt sich häufig bei Insassen von Alters- oder Pflegeheimen, die an Infektionen erkranken, besonders, wenn ihre Mobilität oder ihr geistiger Zustand von vornherein eingeschränkt war. Auch bei Kindern, die noch zu klein sind, um sich selbst Wasser zu beschaffen, tritt Hypernatriämie häufiger auf. Immer wieder betrifft das Kinder am Kindersitz in einem in der Sonne abgestellten Auto.

Hypo- und Hypernatriämie können auch bei Patienten mit Diabetes mellitus auftreten. Hyperglykämie erhöht die Osmolalität, sodass Wasser von intra- nach extrazellulär wechselt. Außerdem entsteht Durst, wodurch die Patienten mehr trinken. Beides erniedrigt die extrazelluläre Na+-Konzentration durch Verdünnung. Je länger die Hyperglykämie besteht, desto mehr Wasser geht durch osmotische Diurese verloren. Die Na+-Konzentration im Urin ist niedriger als jene im Blut; es geht daher proportional mehr Wasser als Na+ verloren. Erfolgt nun eine Behandlung mit Insulin, fällt  die extrazelluläre Osmolalität und Wasser (mit Zucker und Kalium!) strömt zurück in die Zellen. Diese Korrektur deckt nun die vorher erfolgte Na+-Akkumulation auf: Na+ steigt durch seinen Normalbereich und kann temporär Hypernatriämie-Werte erreichen.

 

Die Fähigkeit, Urin zu konzentrieren, ist untrennbar mit Bedingungen verbunden, die das Nierenmark belasten

 

Wie der Pinguin in der Lage ist, seine Wärme (40°C!) von der Kälte in seinen Füßen durch ein Gegenstrom-Wärmeaustauschverfahren regulierbar zu trennen, ist unsere Niere in der Lage, durch das Gegenstrom-Osmolaritätsaustauschverfahren regulierbar einen gewaltigen Osmolaritätsgradienten aufzubauen. Dieser Gradient ist die Grundlage der Konzentrationsfähigkeit der Niere. Wie es dem Pinguin dadurch gelingt, wenig Wärme an die Umgebung zu verlieren, wenn es kalt ist, gelingt es uns, dadurch wenig Wasser an die Umgebung zu verlieren, wenn Wasser rar ist.

Die Fähigkeit der Niere, Urin zu konzentrieren, beruht auf ihrer Handhabung von NaCl und Harnstoff. Von diesen beiden ist Harnstoff variabler. Harnstoff wird in der Leber als Produkt des Aminosäuremetabolismus erzeugt. Je höher der Proteinanteil an der Nahrung, desto höher wird die Konzentrationsfähigkeit der Niere. In der "tiefsten" Schicht der Medulla, nahe den Papillen, trägt Harnstoff etwa die Hälfte der Gesamtosmolalität bei. Weitere gelöste Stoffe, die wir manchmal konzentriert ausscheiden müssen, wie K+ oder NH4+, werden in den Gradienten einbezogen.

Die Niere hält die Osmolalität unseres Organismus konstant, indem sie die Ausscheidung osmotisch wirksamer Teilchen entsprechend anpasst. Sie kann sehr konzentrierten, aber auch sehr verdünnten Urin produzieren. Man kann sich ein gegebenes Urinvolumen gedanklich als aus zwei Teilen bestehend vorstellen: der erste Teil besteht aus jenem Volumen, das nötig wäre, um die Gesamtheit der ausgeschiedenen gelösten Substanzen isoosmotisch mit dem Plasma zu halten. Der zweite Teil besteht aus dem Volumen reinen Wassers ohne jegliche gelöste Stoffe, das man zugeben oder auch subtrahieren muss, um auf das ursprünglich gegebene Urinvolumen zu kommen. Hat der Urin eine niedrigere Osmolalität als das Plasma, ist dieses Volumen aus freiem Wasser positiv, ist der Urin osmotisch konzentrierter als Plasma, ist das Volumen freien Wassers negativ. Die Ausscheidung freien Wassers pro Zeiteinheit bezeichnet man als freie Wasserclearance (solute-free water clearance).

Bei einer normalen Ernährung produzieren wir pro Tag etwa 600 mOsmol ausscheidungspflichtige gelöste Substanzen. Im üblichen Harnvolumen von 1,5 l gelöst ergibt das eine Osmolalität von 400 mOsm/kg. Das ist etwas konzentrierter als die 290 mOsmol/kg des Plasmas. Isoosmotisch ausgeschieden, wären die 600 mOsmol in etwas mehr als 2 l zu lösen; die freie Wasserclearance dieses Tags wäre also mit −0,5 l negativ.

Bei Diabetes insipidus wird ein maximal verdünnter Urin mit etwa 40 mOsmol/kg ausgeschieden. Bei dieser Verdünnung produziert der Patient 600 : 40=15 Liter Urin. So viel muss er auch trinken, um nicht hypovolämisch zu werden. Die freie Wasserclearance dieses Tags wäre +13 Liter.

Gehen wir in der Wüste ohne Wasser verloren, müssen wir diese 600 mOsmol in einem so geringen Volumen wie möglich unterbringen. Unsere junge Niere konzentriert maximal, auf 1300 mOsmol/kg. Die 600 mOsmol können so in etwas weniger als einem halben Liter Urin ausgeschieden werden. Die freie Wasserclearance beträgt −1,6 Liter.

Das spezifische Gewicht des Urins ist leicht zu messen und gibt auch eine grobe Auskunft über seine Konzentration und Osmolalität:

1010 g/l: entspricht den 290 mOsmol/kg des Körpers

1015-1022 g/l: häufiger Bereich- leicht konzentrierter Urin

1001 g/l: extrem verdünnt- um 40 mOsmol/kg

1040 g/l: extrem konzentriert-  um 1300 mOsmol/kg

Scheidet man sehr konzentrierten Urin mit einer Osmolalität bis zu 1300 mOsm/kg aus, tragen zu dieser enormen Osmolalität natürlich sämtliche gelösten Stoffe im Urin in ihrem jeweiligen Verhältnis bei: Na+, Cl-, K+, Harnstoff, NH4+, Phosphat, etc.

 

Warum kann man sich nicht durch Meerwasser vor dem Verdursten retten?

 

Die maximale gemessene Konzentrationsfähigkeit für Na+ im Urin bei jungen, gesunden Erwachsenen, also mit "optimalen Nieren" beträgt etwa 270 mmol/l, mit individuellen Höchstwerten zwischen 240 und 295 mmol/l. Die Na+-Konzentration des Meerwassers beträgt etwa 480 mmol/l. Das Trinken von Meerwasser würde die Situation daher verschlechtern. Wir überlegen die Frage hier anhand der uns vertrauteren Zahlen für Na+, das Resultat gilt aber in noch verschärfter Form auch für Cl.

 

Papillennekrose

Um in der Niere eine Zone mit extrem hoher Osmolalität zu generieren, ist es notwendig, dass diese Zone so gering wie möglich perfundiert wird, um ein sonst unausweichliches Auswaschen zu vermeiden. Das bringt natürlich die Gefahr einer Hypoxie und bei länger anhaltender Hypoxie die Gefahr einer Nekrose mit sich. Die Papille ist daher die Region, die am meisten gefährdet ist, wenn weitere Zellstressfaktoren hinzukommen. Ein Merkhilfe für diese zusätzlichen Stressfaktoren ist das Wort POSTCARDS:

Pyelonephritis

Obstruktion der ableitenden Harnwege

Sichelzellanämie

Tuberkulose

Chronische Lebererkrankungen

Analgetika- oder Alkoholabusus

Renale Transplantatabstoßung

Diabetes mellitus

Systemische Vaskulitis

Wie kann man seine Niere schützen? Ausreichend trinken! Wenn keine Notwendigkeit besteht, den Urin zu konzentrieren, wird das Nierenmark besser durchblutet und damit besser mit Sauerstoff versorgt

 

Ödembildung

 

Nach der Starling-Gleichung ist die Nettofiltration proportional der Permeabilität der Kapillarwand, der Filtrationsfläche und dem Druckunterschied zwischen Kapillare und Interstitium abzüglich des onkotischen Druckunterschieds. Der onkotische Druckunterschied wird durch den Reflexionskoeffizienten σ der Kapillarwand für die Plasmaproteine mitbestimmt. Welcher Anteil des filtrierten Volumens im Interstitium zurückbleibt, wird auch durch die Drainagerate über das Lymphsystem bestimmt.

Ödembildung wird daher gefördert durch:

1.      erhöhten Kapillardruck

2.      verminderte onkotische Druckdifferenz zwischen Plasma und Interstitium

3.      erhöhte Kapillarpermeabilität

4.      Hindernisse im lymphatischen Abfluss

Jede dieser Ursachen führt zu einem parallelen Rückgang des Plasmavolumens, der in den Nieren eine Na+- und Wasserretention nach sich zieht, bis das Plasmavolumen wieder normalisiert ist. Mit anderen Worten, bei der Entstehung von Ödemen stellt die renale Na+- und Wasserretention (zumindest in den underfill-Situationen) einen notwendigen Kompensationsmechanismus dar, um die adäquate Blutversorgung aller Organe aufrecht zu erhalten. Gefühlsmäßig würden wir die Patientin vielleicht gerne von den lästigen Ödemen befreien, indem wir ihr ein Diuretikum geben; wir müssen uns jedoch bewusst sein, das diese Maßnahme dann die Durchblutung irgendwo in ihrem Körper vermindert.

Klinisch sichtbar wird Ödembildung erst, wenn das interstitielle Volumen um mindestens 2,5 l zugenommen hat. Die einzige Möglichkeit, Wassereinlagerung früher zu erkennen, liegt darin, die Patientin täglich abzuwiegen.

Pharmakologische Querverstrebung: Zu den Medikamenten, die die Wassereinlagerung fördern können, gehören Glucocorticoide, nicht-steroidale Entzündungshemmer (NSAIDS), Ca2+-Antagonisten, und Thiazolidindione. Bei Glucocorticoiden erfolgt dies über ihre Wirkung am Mineralocorticoidrezeptor. Prostaglandine halten nicht nur Durchblutung und GFR unter Stressbedingungen aufrecht, sie fördern im Tubulus auch die Na+- und Wasserausscheidung bis zu einem gewissen Grad; NSAIDs wirken dem entgegen. Ca2+-Antagonisten steigern den Filtrationsdruck in Kapillaren, da sie die Arteriolen stärker dilatieren als die Venolen; in der Niere wirken sie eher diuretisch. Für Thiazolidindione (Glitazone), die zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 eingesetzt werden, ist der zugrundeliegende Mechanismus im Detail nicht bekannt, doch wurde gezeigt, dass die Spiegel mehrerer Proteine mit Funktionen in Salz- und Wasserhaushalt verändert sind. Rufen wir uns ins Gedächtnis, dass Thiazolidindione PPARγ-Agonisten sind. PPARγ ist ein ligandabhängiger Transkriptionsfaktor, der durch endogene Lipide wie Fettsäuren aktiviert wird. Nukleäre Rezeptoren wie PPARγ regulieren zahlreiche Gene in zahlreichen Geweben. Offensichtlich beeinflussen manche dieser Gene auch die Na+- und Wasserretention.

 

 

5. STÖRUNGEN DES KALIUMHAUSHALTS

 

Störungen des Kaliumhaushalts können durch Kaliumverluste oder Kaliumretention, exzessive Verabreichung oder, selten, über lange Zeit erfolgende sehr kaliumarme Ernährung entstehen. Zusätzlich können Störungen durch Verschiebung zwischen Intra- und Extrazellulärraum entstehen.

Während Na+ wegen seiner Bedeutung für das Extrazellulärvolumen exakt reguliert werden muss, ist das bei K+ wegen seiner Bedeutung für die Erregbarkeit von Membranen der Fall. Da Membranpotential ist im Wesentlichen ein K+-Potential, da die Membran im Ruhezustand am durchlässigsten für K+ ist, das seinem Konzentrationsgradienten folgend aus den Zellen sickert. Die hohe intrazelluläre K+-Konzentration wird durch die Na+-K+-ATPase aufrecht erhalten, die nicht einfach vor sich hin tuckert, sondern durch äußere Einflüsse in ihrer Aktivität beeinflusst wird. Pumpverstärkend wirken sich Insulin, Adrenalin über β2-Rezeptoren und Aldosteron aus. Pumpmindernd wirkt Azidose. Überlegen wir diese Regulationsmechanismen, wird uns klar, dass wir mit K+-Schwankungen rechnen müssen, wenn wir Medikamente wie Insulin, β‑Blocker, β2‑Sympathomimetika oder Aldosteronantagonisten einsetzen.

Mit der Nahrung nehmen wir manchmal in kurzer Zeit große Mengen K+ auf, während das K+ im Blut niedrig ist und in einem engen Konzentrationsband geführt werden muss. Wie ist das zu erreichen? Kurzfristig wird das aufgenommene K+ in die Zellen geschaufelt. Insulin, das nach einer Mahlzeit ansteigt, trägt dazu bei. Es wird in das Portalblut freigesetzt, erreicht die Leber in hoher Konzentration und führt dazu, dass ein großer Teil des K+ schon durch die Hepatozyten abgefangen wird. Das Plasma-K+ steigt etwas an, doch nach einer Stunde ist es in den Zellen verschwunden. Über einen längeren Zeitraum ist dann die Niere in der Lage, die starken Schwankungen der Kaliumaufnahme mit der Nahrung auszugleichen. Das erfolgt im Sammelrohr, das große Mengen Kalium über den ROMK-Kanal der Hauptzellen sezernieren kann. Eine gesunde Niere hat eine enorme Kapazität, K+ auszuscheiden. An der Steuerung des ROMK-Kanals sind Phosphorylierungen, die durch eine Aldosteron-induzierte (präziser: Mineralocorticoidrezeptor-induzierte) Kinase erfolgen, sowie Magnesium beteiligt. Intrazelluläre Magnesiumionen blockieren den ROMK-Kanal (ähnlich, wie extrazelluläre Ca2+-Ionen den Na+-Kanal blockieren); im Fall einer Hypomagnesiämie fällt dieser Effekt weg, das K+ rinnt aus und es kommt zu verstärkten K+-Verlusten.

Aldosteron verstärkt die Zahl der Na-K-ATPase-Einheiten an der basolateralen Membran der Hauptzellen. Damit wird mehr K+ von extrazellulär in die Hauptzellen gepumpt, der elektrochemische Gradient vom Zytoplasma der Hauptzellen in das Tubuluslumen wird größer. Zusätzlich wird der ROMK via Phosphorylierung durchgängiger. Gemeinsam bewirken die beiden Effekte, dass mehr K+ sezerniert wird. Aldosteron ist unser K+-Ausscheidungshormon. Zugleich ist es aber unser Na+-Sparhormon. Aldosteron ist also Diener zweier Herren: wie kann das gut gehen? Eine wichtige Rolle spielt die Flussrate im Sammelrohr:

  • Ist die Flussrate niedrig, steigt die K+-Konzentration im Lumen unter Aldosteronwirkung bereits früh im Sammelrohr an. Im weiteren Verlauf des Sammelrohrs wird weniger K+ ausgeschieden, da der elektrochemische Gradient geringer ist. Beispiel: wir haben gesportelt und sind etwas knapp an Extrazellulärvolumen. Das RAAS verstärkt die Salz- und Wasserretention, auch ADH ist erhöht. Die Flussrate im Sammelrohr ist niedrig, Aldosteron wirkt primär als Salzsparhormon, ohne dass dabei viel K+ verloren geht.
  • Ist die Flussrate hoch, wird das K+ sehr verdünnt in viel Wasser Richtung Nierenbecken gewaschen. Der elektrochemische Gradient ist höher, sodass in dieser Situation das Aldosteron eher K+-ausscheidend wirkt. Beispiel: Wir haben gerade eine Mahlzeit zu uns genommen und reichlich gegessen und getrunken. Unser Extrazellulärvolumen ist tendenziell etwas erhöht, gleichzeitig haben wir viel K+ aufgenommen, das wir wieder ausscheiden müssen. Renin-Angiotensin bleibt niedrig, die Volumenregulation über atriales natriuretisches Peptid (ANP) steigert die Flussrate im Sammelrohr. Das leicht erhöhte K+ aktiviert Aldosteron direkt, das aber nun primär als K+-Ausscheidungshormon wirkt.

Pharmakologische Querverstrebung: Greifen wir in diesen Mechanismus entweder mit Schleifendiuretika oder mit Thiaziden ein, jagen wir auf jeden Fall die Flussrate im Sammelrohr in ungeahnte Höhen. Damit erzwingen wir in jedem Fall eine hohe K+-Ausscheidung.

Alternativ kann das Sammelrohr jedoch auch fast das gesamte tubuläre Kalium durch α‑Zwischenzellen (α‑intercalated cells) resorbieren. Bei einer sehr kaliumarmen Ernährung vergrößert sich die apikale Membran der α‑Zwischenzellen, die dicht mit H+‑K+-ATPase-Einheiten besetzt ist, wie bei Parietalzellen des Magens und pumpt K+ aus dem Lumen, im Austausch gegen Protonen, gegen den steilen Konzentrationsgradienten in die Zellen.

Auch bei großer körperlicher Anstrengung kann sich die Plasma-K+-Konzentration verändern. Bei einem intensiven Sprint setzen wir den Großteil unserer Muskeln ein. Bei Depolarisation strömt Na+ in die Muskelzellen ein, bei Repolarisation strömt K+ aus. Die gleichzeitige Sympathikusaktivierung sorgt dafür, dass andere Zellen, z. B. Hepatozyten oder nichtbeteiligte Muskelzellen, dafür verstärkt K+ aufnehmen, um einen zu starken Anstieg des extrazellulären Kaliums zu vermeiden. Ist der Sprint zu Ende, wirkt das Adrenalin aber noch eine Weile weiter. Es besteht also während der Anstrengung eine Tendenz zu erhöhtem, nach Ende der Anstrengung dagegen zu erniedrigtem K+.

Betrachten wir nur die Wirkungen veränderten extrazellulären Kaliums, können wir mit Blick auf die Membranerregbarkeit folgende Überlegungen anstellen:

·      eine extrazelluläre Hypokaliämie müsste den K+-Ausstrom aus Zellen verstärken, zumindest, wenn sie kurzfristig auftritt. Dadurch verstärkt sich die Polarisierung der Membran. Das Membranpotential ist damit weiter vom Auslösepotential entfernt; ein Aktionspotential ist schwerer auszulösen.

·      eine extrazelluläre Hyperkaliämie müsste den K+-Ausstrom aus Zellen behindern, die Membranpolarisierung also verringern. Bei Neuronen und Muskelzellen müsste damit ein Aktionspotential leichter ausgelöst werden. Leider ist es nicht so einfach. Wie wir bereits bei den Schrittmacherzellen des Herzens gesehen haben, ist es bei einer geringen Polarisierung möglich, dass nach einem Aktionspotential die Na+-Kanäle gar nicht mehr vollständig regenerieren, sodass das nächste Aktionspotential unter Umständen ebenfalls schwerer oder gar nicht mehr ausgelöst werden kann.

Aus diesem Grund geben wir an dieser Stelle auf und geben uns mit der allgemeinen Feststellung zufrieden, dass Störungen des K+-Haushalts Muskelschwäche und Herzrhythmusstörungen auslösen können.

Azidose führt zu Hyperkaliämie. Niedriger pH hemmt die Na+-K+-ATPase, sodass etwas mehr K+ extrazellulär liegen bleibt. Außerdem verdrängen die vermehrt auftretenden Protonen K+-Ionen von Bindungsstellen an intrazellulären Proteinen und führen so zu einem Austausch von H+ und K+: vermehrt K+ verlässt die Zelle. Am meisten machen diese Effekte wohl im großen Volumen des Muskelgewebes aus. Azidose führt aber auch dazu, dass trotz erhöhter K+-Konzentration im Blut weniger K+ aus dem Körper ausgeschieden wird: sie verringert die Offenwahrscheinlichkeit der  apikalen ROMK-Kanäle der Hauptzellen im Sammelrohr.

Alkalose führt zu Hypokaliämie. Das erfolgt hauptsächlich über verstärktes Pumpen von K+ nach intrazellulär; zusätzlich wird im Sammelrohr mehr dieses intrazellulär gesteigerten Kaliums von Hauptzellen sezerniert.

 

Hyperkaliämie

 

Ursachen: Ein hoher K+-Wert im Routinelabor muss nicht unmittelbar Panik auslösen. Häufig liegt die Ursache in einer unsachgemäßen Abnahme oder Behandlung der Blutprobe bis zur Analyse, sodass K+ durch Hämolyse aus den Erythrozyten austritt.

Allerdings kann eine Hyperkaliämie durch Zelllyse auch im Patienten auftreten. Beispiele sind:

·      Tumorlysesyndrom in der Anfangsphase einer Chemotherapie

·      Verbrennungen

·      Stumpfe Traumata

·      Rhabdomyolyse

Eine klassische Situation, bei der eine Hyperkaliämie durch K+-Verschiebung von intra‑ nach extrazellulär auftritt, ist eine ketoazidotische Stoffwechsellage bei Diabetes mellitus Typ 1. Der Mangel an Insulin und die Azidose tragen zur Behinderung der Na-K-ATPase-Pumpfunktion bei.

 

Pharmakologische Querverstrebung: Bestimmte Medikamente begünstigen die Entstehung einer Hyperkaliämie:

·      Betablocker

·      Digitalis-Herzglykoside, welche die Na+-K+-ATPase direkt hemmen

·      K+-sparende Diuretika: Aldosteronantagonisten, Triamteren oder Amilorid

·      Auch Trimethoprim blockiert ENaC

·      ACE-Hemmer und AT1-Antagonisten haben geringere K+-hebende Effekte

Durch die enorme Kapazität der Niere, K+ auszuscheiden, kann anhaltende Hyperkaliämie nur dann entstehen, wenn diese Funktion gestört ist. Umgekehrt ist Hyperkaliämie typisch für das Endstadium der Nierenerkrankungen, terminale Niereninsuffizienz, da die in den Industriestaaten typische Ernährung reich an Kalium ist.

Die Symptome einer Hyperkaliämie sind ziemlich unspezifisch, mit Übelkeit, Muskelschwäche, Arrhythmie. Plötzliche Asystolie oder Kammerflimmern sind möglich. Im EKG zeigen sich zunächst eine "zeltförmige" Erhöhung und Zuspitzung der T-Welle, dann eine Abflachung bis zum Verlust der P-Welle und eine Verbreiterung des QRS-Komplexes zu einem schenkelblockartigen Bild.

Therapiemöglichkeiten beinhalten rascher und langsamer wirkende Maßnahmen. Am raschesten stabilisiert die vorsichtige Gabe von Ca2+ das Membranpotential, da Ca2+ die Na+-Kanäle verlegt und damit das Auslösen von Aktionspotentialen bremst. Infusion von Insulin (zur Vermeidung einer Hypoglykämie mit Glucose, "gedeckte Glucose") transportiert nicht nur Glucose, sondern auch K+ in die Zellen. Besteht die Hyperkaliämie in Kombination mit einer metabolischen Azidose, kann sie durch eine Bicarbonat-Infusion korrigiert werden: HCO3- fördert, wiederum durch Austausch mit intrazellulärem H+, den Rücktransport von K+ in die Zellen. Furosemid, eventuell gleichzeitig mit einer Kochsalzinfusion, kann die K+-Ausscheidung steigern, falls die Niere dazu noch in der Lage ist. Ein nicht resorbierbarer Kationenaustauscher kann oral oder durch Einlauf eingebracht werden. Dieser kann K+-Ionen binden und aus dem Körper entfernen. Bei Niereninsuffizienz ist Dialyse auf die Dauer der einzige Weg, die K+-Konzentration im einem sicheren Bereich zu halten.

 

Hypokaliämie

 

Ursachen: Hypokaliämie kann durch Verlust von K+ aus dem Körper oder durch das Verschieben von extrazellulärem K+ nach intrazellulär entstehen. Verluste nach außen entstehen häufig in folgenden Situationen:

·         Diarrhoe oder wiederholtes Erbrechen, da gastrointestinale Sekrete reichlich K+ enthalten

·         Hyperaldosteronismus, eventuell sekundär durch Schleifen- oder Thiaziddiuretika oder durch Hochdosis-Glucocorticoidtherapie mit Überforderung der 11β-HSD

Intensive sportliche Anstrengung an einem schwülen Tag kann Hypokaliämie auslösen durch eine Kombination von K+-Verlusten über den Schweiß und K+-Verschiebung nach intrazellulär durch adrenerge Stimulation.

Verschiebung in die Zellen kann durch Medikamente wie Insulin und β2-Sympathomimetika ausgelöst werden. Verabreicht man z. B. einem Diabetes-Patienten mit hohem Blutzucker nur Insulin, kann dadurch eine Hypokaliämie ausgelöst werden. Deshalb sollte gleichzeitig eine Infusion zur Volumenauffüllung mit Zusatz von K+ gegeben werden.

Auch eine starke Sympathikusaktivierung, z. B. bei einem Herzinfarkt, ausgelöst durch die Kombination von Blutdruckabfall, Schmerz und Angst kann über β2-adrenerge Wirkung eine Hypokaliämie auslösen.

Symptome: Muskelschwäche und Herzrhythmusstörungen, z. B. Torsades de points. Im EKG verschmilzt eine abgeflachte T-Welle mit einer prominenten U-Welle.

Für die Behandlung ist es wichtig, sich über die Ursache der Hypokaliämie klar zu werden.  Ist sie durch Verschiebung nach intrazellulär entstanden, muss man darauf gefasst sein, dass das K+ später wieder aus den Zellen heraus kommt. Zu forsche Auffüllung riskiert dann später eine Hyperkaliämie. Das ist nicht der Fall bei einer Hypokaliämie durch chronische Verluste, bei der auch intrazellulär ein eher niedriger K+-Spiegel zu erwarten ist.

Die Therapie sieht auf den ersten Blick einfach aus: füllen wir doch das K+-Defizit auf! Zwei Aspekte müssen wir im Auge behalten, falls wir das durch Infusion machen:

·      K+ in der Infusionslösung muss ausreichend verdünnt sein und die Infusion muss langsam tropfen. Das Venenblut erreicht das Herz sehr rasch, und eine lokal erhöhte K+-Konzentration im Herzen würde die Erregbarkeit der Herzmuskelzellen erst recht aus dem Lot bringen.

·      Außerdem ist extrazellulär erhöhtes K+ einer der wichtigsten Schmerzauslöser. Entlang der infundierten Vene können so ausgelöste Schmerzen sehr spürbar werden.

Wenn also eine bedrohliche Hypokaliämie rasch behandelt werden muss, ist ein zentraler Venenzugang in Kombination mit einem Herzmonitor ratsam. Die Infusionslösung soll keine Komponenten wie Glucose oder HCO3- enthalten, die K+ zusätzlich nach intrazellulär schaffen würden. Eine rasche Auffüllung soll nur bis in die Nähe des unteren Normalbereichs (etwa 3 mmol/l) erfolgen, damit ist die unmittelbare Gefahr beherrscht; für den Rest ist dann genügend Zeit.

Wenn keine unmittelbar bedrohliche Situation besteht, ist es sicherer, das Defizit durch orale Verabreichung wieder aufzufüllen, doch ist die entsprechende, am besten KCl-enthaltende Elektrolytlösung bei Patienten wegen ihres üblen Geschmacks wenig beliebt.

 

 

6. GLUCOSE UND DIABETES

 

Glucose wird im Glomerulum frei filtriert. Bei physiologischen Konzentrationen um 100 mg/dl (5.5 mmol/l) ist das eine Menge energiegeladener Brennstoff: 1 g für jeden einzelnen der 180 Liter Filtrat, die wir am Tag produzieren. Trotzdem scheiden wir unter normalen Umständen überhaupt keine Glucose aus. Praktisch die gesamte filtrierte Menge wird im proximalen Tubulus rückresorbiert. Am Beginn des proximalen Tubulus ist das leicht zu bewerkstelligen: der Na+-Glucose-Transporter 2 (SGLT2, sodium glucose transporter 2 oder SLC5A2, solute carrier 5A2), der eine mäßige Affinität, doch eine hohe Kapazität hat, schaufelt mit der Energie des einströmenden Na+ den Großteil in die Zellen, von wo die Glucose über erleichterte Diffusion via GLUT‑2 die Zelle basolateral verlässt. Was davon noch im Lumen übrigbleibt, wird im hinteren Abschnitt des proximalen Tubulus durch den SGLT1-Transporter, der nun höhere Affinität, aber niedrige Kapazität hat, in die Zelle gehievt, wozu es hier die Energie zweier Na+-Ionen benötigt. Die basolaterale Hintertür in diesem Abschnitt ist GLUT‑1.

Als transportproteinabhängiger Prozess ist die Glucose-Rückresorption sättigbar. Übersteigt bei Diabetikern die Glucosekonzentration 250 mg/dl (14 mmol/l), sind die beiden Glucosetransporter an ihrer Kapazitätsgrenze; zusätzliche Glucose wird ausgeschieden und erzeugt durch ihre osmotische Wirkung eine Diurese. Dieses Phänomen hat der Erkrankung ihren Namen gegeben: Diabetes mellitus bedeutet "honigsüßer Durchfluss".

Pharmakologische Querverstrebung: SGLT2-Hemmer

Eine Behandlungsmöglichkeit für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 besteht in der Hemmung von SGLT2, des Transporters mit hoher Kapazität, durch Substanzen wie Dapagliflozin oder Empagliflozin. Obwohl der Reservetransporter SGLT1 unter diesen Umständen wie verrückt arbeitet, kann er den Ausfall von SGLT2 nicht vollständig kompensieren, sodass eine Menge Glucose und Wasser mit dem Urin ausgeschieden wird. Im Ergebnis werden die Ausscheidungsschwelle und damit der Blutzucker von 250 mg/dl auf wesentlich niedrigere Werte gesenkt. Im Vergleich zu anderen Therapieoptionen besteht der Vorteil darin, dass die ausgeschiedene Glucose nicht mehr zu Fett umgebaut werden kann, oft ist damit ein willkommener Gewichtsverlust verbunden. Die Nachteile: der ausgeprägte Verlust von Glucose kann zu Müdigkeit, unerwünschtem Gewichtsverlust, Dehydrierung und Ketoazidose führen. Ketoazidose deswegen, weil der Organismus durch den Zuckerentzug in eine Hunger-Stoffwechsellage versetzt wird, in der die Leber β-Hydroxybutyrat und Acetoacetat erzeugt. Zusätzlich freuen sich Pilze und Bakterien am äußeren Genitale über die Fütterung, sodass die Gefahr von Infektionen ansteigt.

Als unerwartete, aber äußerst erfreuliche Wirkung von SGLT2-Hemmern ergab sich zusätzlich eine Verlangsamung des Verlusts an GFR bei Patienten mit Diabetes. In weiteren Studien wurde diese Verlangsamung auch bei Patienten mit bereits eingeschränkter Nierenfunktion, aber ohne jeden Diabetes beobachtet. Wie bei der bereits erwähnten positiven Wirkung von SGLT2-Hemmern bei chronischer Herzinsuffizienz ist man sich auch hier über die Mechanismen noch nicht ganz im Klaren. Ein mehrheitlich akzeptierter Mechanismus ist hämodynamisch: Da der proximale Kotransport von Glucose und Na+ gebremst wird, erreicht eine höhere Na+ und Cl-Konzentration die Macula densa. Über tubuloglomerulären Feedback wird dadurch das Vas afferens enger gestellt. Der bei diesen PatientInnen gleichzeitig eingesetzte ACE-Hemmer oder AT1-Antagonist stellt zusätzlich das Vas efferens weiter, sodass der Filtrationsdruck im Glomerulum durch einen doppelten Effekt gesenkt wird. Zwar führt das anfänglich logischerweise zu einer Reduktion der GFR, doch führt diese Entlastung der Glomerula vom ständig hereinhämmernden Blutdruck dazu, dass mehr Glomerula länger erhalten bleiben (siehe Abschnitt "sekundär fokale segmentale Glomerulosklerose"). Auf diese Weise führen SGLT2-Hemmer auch bei Nichtdiabetikern zu einer Stützung nicht nur der Herzfunktion, sondern auch der Nierenfunktion.

Bekommt man mit dieser Therapie nicht Schwierigkeiten, Glucose über den Darm aufzunehmen? Nein, Absorption im Darm erfolgt über SGLT1. Obwohl SGLT1 und ‑2 nahe verwandt sind, würde es die tausendfache Konzentration von Dapagliflozin benötigen, um SGLT1 zu hemmen.

 

 

7. PROTEINE UND PEPTIDE

 

Filtrierte Proteine und Peptide werden zu 100% rückresorbiert. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass "Rückresorption" bei Proteinen etwas anderes bedeutet als bei Elektrolyten oder Glucose: nach der Filtration einmal "außen" angekommen, kann der Wiedereintritt nur über Abbau und die Verdauung zu Aminosäuren erfolgen. Doch auch Aminosäuren sind wertvoll und werden zurückgeholt.

Die meisten Proteine und Peptide werden über einen komplexen Rezeptor gebunden und aufgenommen, der aus den Bestandteilen Megalin, Cubilin und Amnionless besteht; die "Verdauung" erfolgt intrazellulär. Auch hier gilt, dass die Dosis das Gift macht. Abhängig von der Mischung der aufgenommenen Proteine gibt es eine Obergrenze, oberhalb derer Abbauprodukte toxisch werden. Diese Obergrenze ist z. B. bei Myoglobin rascher erreicht als bei anderen Proteinen, wahrscheinlich, weil das in einer Hämgruppe gebundene Eisen toxisch wirkt.

Für Proteine und Peptide, die klein genug sind, um filtriert zu werden, ist die renale Elimination ein bestimmender Faktor für ihren Plasmaspiegel. Fällt diese Elimination bei terminalem Nierenversagen weg, kann das zum Anstieg von funktionell bedeutsamen Peptiden wie Glucagon, Gastrin, ANP und Parathormon führen und auf diese Weise z. B. einen sekundären Hyperparathyroidismus weiter steigern.

 

 

8. SÄURE-BASEN-HAUSHALT

 

Der pH in unserem Blut, einer der am sorgfältigsten konstant gehaltenen Parameter unseres Organismus, beträgt etwa 7,4. In den meisten anderen Flüssigkeitskompartimenten ist er diesem Wert ebenfalls sehr nahe. Er ist einer der am sorgfältigsten konstant gehaltenen Parameter unseres Organismus. Das ist vor allem deshalb essentiell, weil die Konformation unserer Proteine und daher die Aktivitäten vieler Enzyme sehr sensitiv auf pH-Änderungen reagieren.

In verdünnten Lösungen wie in unseren Flüssigkeitskompartimenten entspricht der pH dem negativen Zehnerlogarithmus der Wasserstoffionenkonzentration im mol/l. Mit anderen Worten, die Wasserstoffionenkonzentration in unserem Plasma ist 10-7.4 mol/l, das ist 0,000 000 04 mol/l oder 40 nmol/l. Diese 40 nM Protonenkonzentration stellt ein dynamisches Gleichgewicht dar, das aus einem dauernd ablaufenden Handel zwischen Tausenden verschiedenen Protonengebern und –nehmern resultiert. Eine im Verhältnis winzige Menge von Protonen gehört gerade niemandem und schwirrt frei herum; nur diese macht den pH aus. Die Situation wird dadurch noch unübersichtlicher, dass der Handel in Kompartimenten abläuft, die durch Membranen getrennt sind. Manche Händler, wie CO2, können diese Membranen leicht passieren, andere, wie Phosphat, können das nicht. Außerdem kann der Handel über Membranen nicht lange weitergehen, wenn er die Bedingung der Elektroneutralität nicht erfüllt. Leider ist unsere Vorstellungsfähigkeit wenig geeignet, diesen multiplen simultanen Handel mit tausenden einander beeinflussenden Fließgleichgewichten in einem offenen System nachzuvollziehen. Sogar unsere mathematischen Modelle sind unzureichend. Unser "Wissen" stammt aus Experimenten in stark vereinfachten Modellen, bei denen wir versuchen, die Konzentration der größten Händler zu variieren, während wir alles andere so konstant wie möglich halten.

Das größte Handelshaus im Protonenmarkt unseres Organismus ist CO2 & HCO3. Zum Glück für uns hat der eine der beiden Partner die Angewohnheit, sich in Luft aufzulösen. Täte er das nicht, würde er uns das Leben rasch versauern. Jeden Tag eliminieren wir 15.000 mmol CO2, eine potentielle Säure, über die Lunge.

 

Wiedergewinnung von HCO3

 

Der andere, ausgleichende Partner, HCO3, unser Hauptschutz vor Übersäuerung, könnte dagegen über die Hintertüre Niere verschwinden. Jeder Liter primären Filtrats enthält 24 mmol HCO3. Bei 180 Liter pro Tag sind das 180 x 24 mmol=4320 mmol, oder in der Größenordnung von 4-5 mol. Verlust jedes nennenswerten Teils dieser Menge würde in einer katastrophalen Azidose enden: vollständige Rückresorption ist daher essentiell. Das wird durch Sekretion von H+ in den Tubulus erreicht, das HCO3in CO2 umwandelt, das durch Diffusion leicht rückresorbiert wird.  Dieser Prozess wird durch Carboanhydrase IV beschleunigt, das an einem GPI-Anker an der Außenseite der apikalen Membran baumelt, sodann im Rückwärtsgang durch Carboanhydrase II im Zytosol. An der basolateralen Membran wird HCO3im Austausch gegen Clhinausgeschleust oder entlang seinem Konzentrationsgefälle zusammen mit Na+ hinaustransportiert. Dies erfolgt durch den elektrogenen Na-HCO3--Cotransporter NBCe1 (B für bicarbonate, e für elektrogen; SLC4A4). Dieser Carrier kann in beide Richtungen transportieren. Im proximalen Tubulus entsteht in der Zelle so viel HCO3, dass der elektrochemische Gradient dazu führt, dass drei HCO3 ein widerstrebendes Na+ nach außen drücken. Achtzig bis neunzig Prozent des HCO3 wird auf diese Weise im proximalen Tubulus rückresorbiert, der Rest durch α-Zwischenzellen im distalen Tubulus und Sammelrohr.

H+ wird über drei Mechanismen in den Tubulus ausgeworfen. Die ersten beiden sind sowohl im proximalen als auch im distalen Tubulus aktiv, während der dritte auf distalen Tubulus und Sammelrohr beschränkt ist:

1.    Der Na-H-Austauscher (NHE) wird durch das steile  Na+‑Lumen-Zell-Gefälle im proximalen Nephronteil getrieben. Er bewerkstelligt den Großteil des H+‑Transports, kann aber keinen ausgeprägten Protonengradienten, also einen niedrigeren pH im Tubulus als in der Zelle, aufbauen.

2.    Eine elektrogene H+-Pumpe verbraucht ATP, um einen Lumen-positiven Protonengradienten aufzubauen. Diese Pumpe wird überall, am stärksten jedoch in den α-Zwischenzellen im Sammelrohr exprimiert.

3.    Eine elektroneutrale Protonen-K-Pumpe im distalen Tubulus verbraucht ATP, um K+ aus dem Lumen gegen H+ auszutauschen. Diese Pumpe entspricht der Protonenpumpe im Magen. Dieses System kann auch zur Entstehung einer Hyperkaliämie bei metabolischer Azidose beitragen.

Der Großteil der H+-Sekretion erfolgt also im proximalen Tubulus, ein allfälliger Protonengradient wird aber im distalen Tubulus durch die α-Zwischenzellen erzeugt. Arbeiten all diese Systeme am Limit, kann der pH im Urin 4,4, also die tausendfache Protonenkonzentration des Blutes, erreichen (40µmol/l im Verhältnis zu den 40 nanomol/l im Blut). Das klingt beeindruckend und ist es auch, doch quantitativ sinken diese 40 µmol ins Bedeutungslose angesichts der 4-5 mol an zurückgewonnenem HCO3 sowie, wie wir gleich sehen werden, den bis zu 300 mmol an Säureäquivalenten, die pro Tag als NH4+ ausgeschieden werden. Die Niere ist also in der Lage, über die Rückgewinnung von HCO3 hinaus Säureäquivalente auszuscheiden. Gibt es in einer sonst funktionierenden Niere ein Problem mit der H+-Sekretion ins Lumen, spricht man von renaler tubulärer Azidose, die viele Ursachen, genetische wie erworbene, haben kann.

Die Niere ist andererseits ebenso in der Lage, mit einer Basenbelastung fertig zu werden, z. B., wenn große Mengen an Säureäquivalenten durch Erbrechen verloren gehen. In diesem Fall reduziert die Niere einfach die H+‑Sekretion, bis eine ausgleichende Menge von HCO3 im Urin ausgeschieden wurde.

Pharmakologische Querverstrebung: Acetazolamid blockiert Carboanhydrase und hemmt damit die HCO3-Rückgewinnung, sodass alkalischer Urin ausgeschieden wird.

 

Ausscheidung von NH4+

 

Bei der für die westlichen Industrieländer typischen Ernährung produziert unser Stoffwechsel täglich einen Überschuss von etwa 70 mmol H+ in Form von nichtvolatilen Säureäquivalenten, die wir ausscheiden müssen, um eine Azidose zu vermeiden. Das ist hauptsächlich die Folge einer proteinreichen Ernährung. Protein tierischen Ursprungs enthält mehr schwefelhaltige Aminosäuren Cystein und Methionin und führt in der Verstoffwechselung zu noch mehr Säureeinheiten. Je mehr wir zur Energiegewinnung auf Proteine zurückgreifen, umso mehr Stickstoff müssen wir entsorgen und umso mehr Säure produzieren wir. Gluconeogenese in der Leber führt zum Anfall, oder besser Abfall, von Aminogruppen, mit denen die Leber auf zwei Arten verfahren kann:

1.    In der Regel und abhängig vom Säure-Basen-Status werden mehr als 90% noch in der Leber durch Umbau zu Harnstoff entgiftet. Obwohl der Ablauf im Detail viel komplizierter ist, läuft er darauf hinaus, dass zwei Protonengeber in Form von NH4+ mit einem Protonennehmer in der Form von HCO3 fusioniert werden, sodass ein Säureäquivalent übrig bleibt. Dieser Prozess verbraucht also HCO3.

2.    Die zweite Möglichkeit der Leber, Stickstoff zu entsorgen, besteht darin, das toxische NH4+ in einem nicht-toxischen Glutamin zu "verpacken" und transportfähig zu machen. Die Niere holt dieses NH4+ wieder heraus. Die proximale Tubuluszelle produziert zwei Ammoniumionen durch Abspaltung von Glutamin, das dadurch zu α-Ketoglutarat wird. NH4+ wird sezerniert. Zwei Moleküle α-Ketoglutarat (über Phosphoenolpyruvat) und vier H+ aus 4CO2+4H2O werden zu einem Molekül Glucose umgeformt, sodass in der Bilanz 4 HCO3 übrig bleiben. Für jedes in den Tubulus sezernierte NH4+ verlässt daher ein HCO3 die Zelle über die basolaterale Membran. Gluconeogenese mit inkludierter Säureausscheidung, also Energiegewinnung gekoppelt mit Müllverwertung: "Nierisch" genial! Ob dieses HCO3 in der Niere gewonnen wird, oder eigentlich schon vorher in der Leber, dadurch, dass weniger HCO3 zur Harnstoffsynthese verbraucht wurde, ist eine Frage der Perspektive. Man kann es so zusammenfassen: die Sekretion von Säureäquivalenten in Form von NH4+ spart HCO3, das sonst in der Harnstoffsynthese verbraucht werden würde.

Die Regulation der Ausscheidung saurer Äquivalente in Form von NH4+ erfolgt damit eigentlich nicht in der Niere, sondern in der Leber. Wie wir in unserer Auseinandersetzung mit der Pathophysiologie der Leber später sehen werden, führt eine Tendenz zur Azidose dazu, dass die Leber mehr Stickstoff in Form von Glutamin entsorgt und weniger in Form von Harnstoff. Damit wird  in Summe mehr neues HCO3 produziert und weniger verbraucht, und die sich anbahnende Azidose wird ausgeglichen.

Da der pKa von NH4+ 9.2 beträgt, liegt bei pH 7,4 fast alles in der Ammoniumionenform vor (bei pH 7,2 würde 1 % in NH3-Form sein). Während NH3 die meisten Membranen problemlos überwinden kann, ist das für das geladene NH4+ nicht der Fall. Da die Tubulusflüssigkeit in späteren Tubulusabschnitten in der Regel saurer wird, wird es immer schwieriger für das NH4+, in den immer kürzeren Momenten als NH3 durch die Membran zurück zu schlüpfen, NH4+ wird also im Lumen gefangen und kann in höherer Konzentration ausgeschieden werden. Je niedriger der Urin-pH, desto mehr NH4+ kann ausgeschieden werden.

Die Niere baut einen beträchtlichen NH4+‑Gradienten im Mark auf, der dazu beiträgt, NH4+ und damit Säure auszuscheiden. Die Plasmamembran des dicken aufsteigenden Teils der Henle-Schleife ist relativ impermeabel für NH3. NH4+ wird hier resorbiert, indem es die Stelle von K+ im Na-K-2Cl-Cotransporter sowie in K+-Kanälen einnimmt. Beim höheren pH in der Zelle ist es für das NH4+ leichter, in kurzzeitiger NH3-Form die basolaterale Membran zu durchqueren, sodass NH4+ im Interstitium des Nierenmarks akkumuliert: je tiefer in der Medulla, desto höher die Konzentration von NH4+. Dieser Gradient führt zu einer Nettosekretion in die absteigenden Teile des Nephrons und eine Umgehung bzw. Abkürzung der distalen corticalen Schleife des Nephrons.

Mit Hilfe dieser Mechanismen ist es möglich, höhere Prozentsätze des relativ toxischen Ammoniums auszuscheiden. Außerdem verlässt mit jedem NH4+ ein Säureäquivalent den Körper.

 

Ausscheidung titrierbarer Säuren

 

Ein Teil der ins Lumen ausgeworfenen Protonen (etwa 30 mmol pro Tag) wird durch Akzeptoren wie HPO42 (pKa von H2PO4 7,2), Urat (pKa 5,75 und Kreatinin (pKa 5,0) gepuffert. Diese werden titrierbare Säuren genannt, da  die Menge der gepufferten Protonen bestimmt werden kann, indem die Menge Natronlauge gemessen wird, die benötigt wird, um den pH wieder auf 7 zu bringen. NH4+ wird nicht als titrierbare Säure betrachtet, da es, mit einem pKa von 9.2, seine Protonen bei dieser Messung noch nicht frei gibt.

Müssen größere Mengen von Säureäquivalenten ausgeschieden werden, sind die titrierbaren Säuren wenig hilfreich. Die Phosphatpufferkapazität, die wichtigste von den dreien, ist durch die relativ geringe Menge des im Plasma vorhandenen Phosphats limitiert. Nur bei Ketoazidose können Keto-Anionen wie β-Hydroxybutyrat zu einer Ausweitung der titrierbaren Säure beitragen.

Der Hauptentsorgungsweg für Säureäquivalente bei Azidose ist daher eine Steigerung der NH4+-Ausscheidung. Diese kann von den üblichen 40 bis auf 300 mmol pro Tag steigen.

 

Osteoporose ist kein Resultat "Übersäuernder Ernährung"

 

Ein verbreiteter und in vielen Varianten wiederholter Irrglaube besagt, dass die in den westlichen Industrieländern typische Ernährungsform über die Generierung von Säureäquivalenten zu Osteoporose führt. Diese Behauptung hat keine wissenschaftliche Basis. Zwar ist es richtig, dass Osteoklasten Knochensubstanz durch Ansäuerung abbauen, wie wir sehen werden, wenn wir uns dem Knochenstoffwechsel zuwenden, doch beschränken Osteoklasten diese Wirkung lokal, indem sie ihr Arbeitsfeld sorgfältig abdichten. Auch gibt es viele berechtigte Gründe für Kritik an unserer typischen Ernährungsform, doch die Generierung von Säureäquivalenten gehört nicht dazu. Eine gesunde Niere ist problemlos in der Lage, die 70 mmol nicht-volatiler  Säure auszuscheiden, die unsere Ernährung mit sich bringt; tatsächlich könnte sie die Säureausscheidung auf ein Mehrfaches dieses Werts hochschrauben.  Selbstverständlich bleiben Blut- und Knochenmark-pH konstant; sie sind bei Fleischessern und Veganern ident. Fleischesser haben höheren Blutdruck, stärkere Arteriosklerose und mehr Herzinfarkte, aber nicht mehr Osteoporose.

Ganz anders ist die Situation, wenn ein ernstes Problem bei der renalen Säureausscheidung besteht. Renale tubulärer Azidose, die genetisch bedingt sein kann oder z. B. im Rahmen von Autoimmunerkrankungen oder Sichelzellanämie vorkommt, führt zu Osteomalazie bzw. bei Kindern zu Rachitis. In diesem Fall werden Säureäquivalente tatsächlich durch Phosphat aus dem Hydroxylapatit des Knochens gepuffert, das sich dadurch auflöst.

 

pH-abhängige Ausscheidung von Medikamenten: schwache Säuren und Basen

 

Die Ausscheidung schwacher Säuren und Basen wird vom pH beeinflusst, da ihre nichtionischen Formen leichter die Membran der Tubuluszellen passieren als die ionisierten Formen. Betrachten wir als Beispiel Acetylsalicylsäure. Bei niedrigem Urin-pH ist ein beträchtlicher Teil protoniert und diffundiert zurück ins Blut. Bei höherem Urin-pH liegt sie ionisiert vor und wird ausgeschieden. Das Gegenteil ist bei einer schwachen Base wie Chinin der Fall. Da viele Medikamente schwache Säuren oder Basen darstellen, hat der Urin-pH einen starken Einfluss auf ihre Ausscheidung. Eine Vergiftung mit Acetylsalicylsäure kann daher durch eine Alkalisierung des Urins durch eine HCO3-–Infusion behandelt werden.

 

Ausscheidung organischer Anionen und Kationen

 

Der späte proximale Tubulus sezerniert eine Reihe von organischen Anionen und Kationen. Zu den Anionen gehören Oxalat, α-Ketoglutarat, Gallensalze und von der Leber produzierte Biotransformationsprodukte, die mit Glucuronat oder Sulfat gekoppelt sind. Die gelbe Farbe normalen Urins stammt hauptsächlich von Bilirubinmetaboliten wie Urobilin. Unter den sezernierten Kationen sind Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin. Aus diesem Grund kann die Produktionsrate von Catecholaminen aus ihrer Konzentration im 24-Stundenharn bestimmt werden.

 

 

Wenn der pH abdriftet: Azidose und Alkalose

 

Respiratorische Azidose

Eine respiratorische Azidose ist gekennzeichnet durch Hyperkapnie: einen Anstieg des CO2-Partialdrucks. Das führt zur Vasodilatation im ZNS und kann damit Kopfschmerzen und Rötung der Konjunktiven zur Folge haben. Weiters können Angst, Orientierungsstörungen, Verwirrung, Halluzinationen etc. auftreten. Im ausgeprägten Fall erfolgt auch eine starke Sympathikusaktivierung mit Tachykardie und Blutdruckanstieg.

Ursachen für respiratorische Azidose:

·      Akut: Atemzentrumsdepression, z. B. durch Opiat- oder Barbituratvergiftungen, ausgeprägte Hypokaliämie (über neuromuskuläre Schwächung), Pneumonie, Lungenödem, Lungenembolie, akute Asthmaanfälle

·      Chronisch: COPD/ Emphysem, Lungenfibrose.

Kompensation: Eine Steigerung des arteriellen PCO2 wird durch gesteigerte renale H+-Sekretion kompensiert, die über eine gesteigerte Ausscheidung von NH4+ zur Produktion von neuem HCO3 führt. Wie wir gesehen haben, erfolgt die eigentliche Regulation in der Leber, die mehr Glutamin zur NH4+-Ausscheidung zur Verfügung stellt. Bei chronischer respiratorischer Azidose werden diese Vorgänge durch Induktion des apikalen Na-H-Austauschers und der basolateralen Na-HCO3-Cotransporter effizienter. So wird ein neues Gleichgewicht mit höherer HCO3-Konzentration eingestellt; Faustregel zur Einschätzung: +3,5 mmol/l HCO3  pro 10 mm Hg PCO2 ↑.

Respiratorische Alkalose:

Respiratorische Alkalose ist die Folge eines verstärkten zentralen Atemantriebs mit Absenkung des CO2-Partialdrucks. Das kann zu Vasokonstriktion im ZNS bis zur Bewusstlosigkeit führen. Alkalose zieht mehr Protonen von Albumin ab; die nun vermehrten negativen Albuminladungen binden mehr Ca2+, sodass eine relative Hypokalzämie die Krampfbereitschaft erhöht.

Ursachen für respiratorische Alkalose:

·      Lungenerkrankungen wie Pneumonie, Lungenembolie oder Asthma, bei denen man eher eine respiratorische Azidose erwarten würde, können über die Stimulation von Rezeptoren des autonomen Nervensystems in der Lunge auch eine "Überkompensation" mit respiratorischer Alkalose auslösen

·      psychogen

·      Sepsis, Atemstimulation durch Zytokine

·      Lebererkrankungen, Atemstimulation vermutlich durch nicht-entgiftete Stoffwechselprodukte

Respiratorische Alkalose kommt aber auch bei Gesunden vor, z. B. in der Schwangerschaft, vermutlich durch zentrale Progesteronwirkung, und beim Bergsteigen. In großen Höhen sinkt der Luftdruck und damit auch der Sauerstoffpartialdruck. Wir kompensieren das durch verstärkte Atmung, doch senken wir dadurch auch den PCO2 und geraten so in eine milde respiratorische Alkalose.

Kompensation: Bei gesenktem PCO2 reduziert die Niere ihre H+-Sekretion (bzw. die Leber ihre Glutaminsynthese), sodass eine ausgleichende Menge HCO3 über den Urin ausgeschieden wird. Faustregel zur Einschätzung: Absenkung HCO3Spiegel 5 mmol/l pro 10 mm Hg PCO2 ↓. Die verstärkte Ausscheidung von osmotisch wirksamem HCO3 kann sich als so genannte Bikarbonatdiurese bemerkbar machen — achten Sie einmal darauf, wieviel Sie bei einer Bergtour in großer Höhe pinkeln müssen — sodass wir in den Bergen dafür sorgen müssen, ausreichend zu trinken.

Metabolische Azidose

Metabolische Azidose ist gekennzeichnet durch eine Absenkung der HCO3-Konzentration.

Ursachen für metabolische Azidose:

·      Diarrhoe

·      Vermehrte Produktion organischer Säuren (Lakatatazidose, Ketoazidose)

·      Nierenfunktionsstörungen (Niereninsuffizienz, renale tubuläre Azidose)

·      Vergiftungen (Acetylsalicylsäure, Methanol)

Was auch immer die Ursache ist, vermehrt anfallende Protonen werden zunächst durch HCO3 gepuffert, das dabei zu CO2 und H2O wird.

Kompensation: Die erste Anpassung erfolgt durch eine verstärkte Ventilation, um den PCO2 auf ein neues Gleichgewichtsniveau hinunterzudrücken. In vielen Fällen ist die metabolische Azidose das Resultat einer gestörten Nierenfunktion; eine Korrektur über die Niere schließt sich damit aus. Bei chronischer Diarrhoe, Laktatazidose oder diabetischer Ketoazidose liegt die Ursache außerhalb der Niere. In diesem Fall erfolgt die Korrektur mit der Zeit nach demselben Muster wie bei der respiratorischen Azidose: Die Leber steigert ihre Glutaminproduktion auf Kosten der Harnstoffsynthese. Die Niere nimmt diesen Ball auf und spielt ihn weiter (sorry, dieser Satz wurde während der Fußball-WM formuliert), indem sie die Produktion von NH4+ durch Induktion der beteiligten Enzyme ankurbelt, sodass auf diese Weise mehr Säureäquivalente ausgeschieden werden können bzw. mehr HCO3generiert werden kann. Zusätzlich macht die Niere die H+-Sekretion effizienter durch Induktion des Na-H-Austauschers und der elektrogenen H+-Pumpe; außerdem erleichtert sie den basolateralen HCO3-Transport durch Induktion der Na-HCO3-Cotransporter.

Base excess: Um die Größenordnung metabolischer Abweichungung von Normalbedingungen einzuschätzen, eignet sich der base excess (Basenabweichung). Der base excess ist definiert als die Menge an Säure, die notwendig ist, um einen Liter Blut bei respiratorischen Standardbedingungen (100% O2-Sättigung und PCO2 40 mm Hg bei 37°C) wieder auf pH 7,4 zurück zu titrieren. Wenn keine metabolische Abweichung zugrunde liegt, gibt es auch nichts zu titrieren; der Normalbereich ist also 0 ±2 mmol/l. Anders als es der englische Terminus technicus impliziert, können Abweichungen positiv, aber auch negativ sein; ein base excess > 2 mmol/l bedeutet eine metabolische Alkalose, ein negativer base excess < −2 mmol/l eine metabolische Azidose.

Base excess wird in der Praxis aber nicht durch mühsames Titrieren ermittelt, sondern aus der arteriellen Blutgasanalyse (Astrup) berechnet, die bei Säure-Basen-Problemen ohnehin durchgeführt wird. Der Wert für den base excess wird dabei automatisch mitausgegeben.

[Kein Lernstoff, nur zur Verdeutlichung: Base excess wird in Abhängigkeit von pH und PCO2 mit Hilfe der folgenden Formel berechnet, die sich aus einer Kombination der Siggaard-Anderson-Gleichung mit der Henderson-Hasselbalch-Gleichung ergibt:

base excess = 0.02786 x PCO2 x 10 (pH - 6.1) + 13.77 x pH − 124.58]

Die beste Therapie der Azidose ist die Beseitigung der auslösenden Ursache. Manchmal ist es allerdings notwendig, eine metabolische Azidose akut zu korrigieren. In diesem Fall eignet sich der base excess zur Abschätzung der dazu benötigten Puffermenge. Welches Körpervolumen muss korrigiert werden? Selbstverständlich ist es nicht möglich, nur "das Blut" zu korrigieren. Näher kommen wir der Sache schon, wenn wir das Extrazellulärvolumen als Basis nehmen: Das wären bei unserer 70 kg-Frau 14 und bei unserem 70 kg-Mann 17 Liter. Da sich das eingesetzte Natriumbicarbonat aber auch bis zu einem gewissen Grad im Intrazellulärraum equilibriert, der auch von der Azidose betroffen ist, nimmt man 30% des Körpergewichts als Basis, bei 70 kg also 21 Liter. Das zu korrigierende Volumen bezieht sich also nicht mehr nur auf das Blut, und man verwendet deshalb eine Modifikation des base excess, den standard base excess. Hämoglobin hat über seine eingebauten Histidine eine beträchtliche Pufferwirkung. Um besser die Eigenschaften des Zielvolumens zu reflektieren, bezieht sich standard base excess auf einen Hb-Gehalt von 5 g/dl, während Blut ja einen Hb-Gehalt von 12-18 g/dl hat. Bei einer metabolischen Azidose mit einem standard base excess von −10 mmol/l bei unserer 70 kg-Person kann man also abschätzen, dass die benötigte Menge NaHCO3 etwa 70 x 0,3 x 10 = 210 mmol beträgt. Achtung! Solche Korrekturen sind nur etwas für Spezialisten und aus vielen Gründen heikel (rascher Anstieg in PCO2, Gefahr der Überkorrektur,  K+-Verschiebungen, osmotische Effekte wie Hypernatriämie; in der Regel wird zunächst die Hälfte der Abweichung korrigiert und die Situation dann neu bewertet).

 

Anion gap: Das Ausmaß der metabolischen Abweichung ist wichtig, hilft aber wenig weiter, die Ursache der metabolischen Azidose zu bestimmen. Nützlich für den nächsten Schritt ist der sogenannte anion gap. Im Plasma herrscht Elektroneutralität; die Zahl der Anionen ist gleich der Zahl der Kationen. Den Großteil dieser Ionen "sieht" man im Routinelabor: Na+, K+ Cl, HCO3. Den kleineren Rest sieht man nicht. Verstecken sich bei der azidotischen Patientin in diesem unsichtbaren Eck vielleicht ungewöhnlich viele Säuren? Laktat, zum Beispiel, oder vielleicht die Ketonkörper Acetoacetat oder β‑Hydroxybutyrat? Nun, man kann die Menge dieser Anionen schätzen, indem man die bekannten Anionen den Kationen gegenüberstellt. Dabei sind wir rechenfaul und lassen den K+-Wert unter den Tisch fallen; der ist ohnehin so klein, ein konstanter Fehler von 3% regt uns da nicht auf. Also:

 

Anion gap = [Na+] – ([Cl]+[HCO3] )

Normalerweise ist dieser Wert 12±2, und spiegelt dabei... Hm, was eigentlich wieder? Anionen, natürlich, also, da wäre Phosphat, ist aber gering,...Hoppla, da hätten wir fast die Proteine vergessen! Proteine tragen positive und negative Ladungen, in Summe aber mehr negative. Denken wir an die 15 negativen Nettoladungen von Albumin. Albumin macht ja immerhin 60% der Serumproteine aus. Der normale anion gap von 12 stellt also hauptsächlich Albumin dar. Albumin geht aber bei Glomerulumproblemen verloren, wird bei Lebererkrankungen weniger synthetisiert: da müssen wir es wohl berücksichtigen, falls die Albuminwerte ungewöhnlich sind.

 

Azidosen mit vergrößertem anion gap: hier sind offensichtlich Säuren im Plasma vorhanden, die sonst nicht in diesem Ausmaß vorhanden sind. Hier müssen wir also an Laktatazidose, Ketoazidose, Urämie und eine Reihe anderer Ursachen denken.

 

Azidosen mit normalem anion gap: hier ist HCO3 verloren gegangen, ohne dass Säuren hinzugekommen sind. Als mögliche Ursachen der metabolischen Azidose kommen beispielsweise HCO3-Verluste durch chronische Durchfälle oder renale tubuläre Azidose in Frage. 

 

Metabolische Alkalose

Metabolische Alkalose ist gekennzeichnet durch einen Anstieg der HCO3-Konzentration.

Der pH-Anstieg selbst sowie die typischerweise damit einhergehende Hypokaliämie führen additiv zu einer Destabilisierung des Membranpotentials, sodass Arrhythmien, Schwäche und zentralnervöse Symptome entstehen.

Typische Ursachen sind z. B. chronisches Erbrechen (ev. bei Bulimie) oder die Anwendung von Diuretika (Furosemid, Thiazide), die durch Aldosteroninduktion im Sammelrohr nicht nur zum Austausch von Na+ gegen K+, sondern auch gegen H+ führen. Werden die Diuretika bei Patienten mit Ödemen eingesetzt, reduzieren diese das Extrazellulärvolumen um mehrere Liter: Na+, Cl und Wasser werden ausgeschieden, nicht aber HCO3, das sich im nun reduzierten Volumen konzentriert (Kontraktionsalkalose).

Im Prinzip wird bei steigender HCO3-Konzentration mehr HCO3 filtriert. Eigentlich würde es genügen, die Differenz auszuscheiden, um die metabolische Alkalose zu korrigieren. Leider sind gleichzeitig Faktoren aktiv, welche die Ausscheidungsschwelle erhöhen:

  • Rückgang des Kreislaufvolumens: Eine Abnahme des Kreislaufvolumens aktiviert das RAAS und steigert den Sympathikotonus. Sowohl Angiotensin II als auch Noradrenalin stimulieren den Na-H-Austausch im proximalen Tubulus, zusätzlich steigert Aldosteron die H+-Sekretion im Sammelrohr.
  • Starke Aldosteronwirkung per se.
  • Hypokaliämie: Mehrere Mechanismen sind beteiligt. Einfach zu verstehen: Die α-Zwischenzellen des Sammelrohrs tauschen K+ aus dem Lumen gegen H+ ein. Diese Protonen-K+-Pumpe (die "Protonenpumpe", wie wir sie im Magen nennen) wird durch K+-Mangel stimuliert mit dem Ziel, möglichst viel K+ rückzuresorbieren. Das bedeutet aber gleichzeitig zwingend verstärkte H+-Sekretion.
  • Hypochloridämie,die typisch ist bei chronischem Erbrechen, da ja HCl verloren geht, vermindert zunächst die Menge an filtriertem Cl. In den folgenden Tubulusabschnitten wird die Cl-Konzentration weiter abgesenkt, da Cl dem rückresorbierten Na+ folgt. Im Lumen des Sammelrohrs ist dann kaum mehr Cl vorhanden, das dort aber gebraucht werden würde für den Austausch gegen zu sezernierendes HCO3 durch β-Zwischenzellen.

Die ersten drei führen also zu verstärkter H+ Sekretion ins Lumen. Im Prinzip ist die Ausscheidung von Säureäquivalenten bei Alkalose schwer verständlich, da vollkommen kontraproduktiv, doch wird sie in jedem dieser drei Umstände erzwungen. Dies ist gleichbedeutend mit verstärkter Rückresorption bzw. Generierung von neuem HCO3, mit anderen Worten, einer Anhebung der Ausscheidungsschwelle.

Kompensation: Der Atemantrieb wird zunächst vermindert, sodass der PCO2 etwas ansteigt; das verschlechtert allerdings die Sauerstoffversorgung und ist naturgemäß eine limitierte Option. Kompensiert werden muss also über die Niere. Damit das gelingen kann, müssen jedoch zuerst jene Faktoren behoben oder zumindest gebessert werden, welche die Ausscheidungsschwelle für HCO3erhöhen.

Gelingt das, kann die Sekretion von H+ ins Lumen reduziert und damit mehr HCO3 im Urin ausgeschieden werden. Zusätzlich zu diesem Effekt im proximalen Tubulus erfolgt eine weitere Anpassung im corticalen Sammelrohr: eine Verschiebung im Verhältnis von α‑ zu β‑Zwischenzellen. Während α‑Zwischenzellen H+ ins Lumen pumpen und HCO3 ins Blut entlassen, haben β‑Zwischenzellen die umgekehrte Orientierung und sezernieren HCO3 im Austausch gegen Cl. Bei anhaltender metabolischer Alkalose kann das corticale Sammelrohr also sogar von der üblichen H+-Sekretion auf Netto- HCO3-Sekretion umstellen.

 

Rückgang des Kreislaufvolumens stimuliert die H+-Sekretion und fördert die Bildung von Nierensteinen

 

Wie wir uns soeben vor Augen geführt haben: Eine Abnahme des Kreislaufvolumens aktiviert das RAAS und steigert den Sympathikotonus und damit die Ausscheidung von Säureäquivalenten. Damit sinken Volumen und pH des Urins, was die Steinbildung erleichtert. Calciumoxalatsteine und Harnsäuresteine entstehen verstärkt bei niedrigem pH (Calciumphosphatsteine entstehen dagegen bei erhöhtem pH).

 

 

Hypokaliämie stimuliert die H+-Sekretion

 

Im proximalen Tubulus aktiviert K+-Mangel den Na-H-Austausch und den elektrogenen Na- HCO3--Cotransport. Zusätzlich aktiviert K+-Mangel den K-H-Austausch in α‑Zwischenzellen im Sammelrohr. Hypokaliämie kann auf diese Weise zu einer metabolischen Alkalose führen.

 

 

 

9. BEEINTRÄCHTIGUNG DER GLOMERULÄREN FUNKTION

 

Jede Niere enthält, bei einer jungen Person, etwa eine Million Glomerula. Der unbesiegbare Feind unserer Glomerula ist das Alter: je älter wir werden, desto mehr Glomerula verlieren wir. Diese Mikrofilter können nur funktionieren, wenn sie

·      dauernd einen hohen Blutzufluss erhalten

·      strukturell intakt bleiben

Probleme mit der Blutzufuhr können sich durch arteriosklerotische Läsionen, durch Hypovolämie, durch arterielle Hypertonie oder durch andere Ursachen ergeben, mit denen wir uns hier nicht weiter beschäftigen.

Strukturelle Veränderungen haben viele Ursachen. So führt z. B. arterielle Hypertonie oder diabetische Stoffwechsellage auf die Dauer zu strukturellen Schäden und zum Verlust von Glomerula. Viele Arten der Strukturschädigung gehen auf Immunmechanismen zurück. Wie wir in unserer Auseinandersetzung mit unserem Abwehrsystem gegen mikrobielle Invasoren gesehen haben, verfügt unser Immunsystem über eine Reihe scharfer Waffen. Das Haupttransportmittel für Komplementkomponenten, neutrophile Granulozyten, Antikörper und T-Zellen ist das Blut. Durch die starke Blutversorgung unserer Nieren erreichen große Mengen dieser Waffen die Glomerula. Dabei haben sie reichlich Gelegenheit, im Filter hängen zu bleiben. Je nachdem, wo genau die primäre Schädigung erfolgt, entsteht eine breite Palette von klinischen Symptomen.

 

Schädigung von Podozyten: primär nephrotische glomeruläre Erkrankungen

 

Membranöse Glomerulopathie. Erinnern wir uns, dass die Schlitzmembran der Teil des Filters mit der geringsten Porengröße ist. Antikörper können daher bis zur Schlitzmembran, also bis zur den Kapillaren zugewandten Seite der Podozyten gelangen, auch, wenn die Schlitzmembran intakt ist. Wenn Antikörper entstehen, die mit Strukturen auf der Oberfläche von Podozyten kreuzreagieren, wird Komplement aktiviert, und die Podozyten ziehen darauf ihre Fußfortsätze zurück. Damit verschwindet stellenweise die Schlitzmembran, während die darüber liegende, gröberporige Basalmembran weitgehend intakt bleibt. Dadurch werden nun große Mengen von Proteinen filtriert, aber keine Zellen. Antikörper gelangen nun auch auf die Lumenseite der Podozyten.

Normalerweise führt Komplementaktivierung dazu, dass die kleinen Spaltprodukte C3a, C4a und C5a ins umgebende Gewebe diffundieren und chemotaktisch Leukozyten anlocken. Hier, mitten in einer brausenden Plasmastromschnelle, wird jedes chemotaktische Molekül sofort weggespült. Im Lichtmikroskop wird dadurch keine Infiltration sichtbar.

Trotzdem haften Antikörper und Komplement auf der Oberfläche der Podozyten, die darauf durch verstärkte Produktion von Basalmembranmaterial reagieren. Basalmembranen bestehen aus Proteinen wie Kollagen Typ IV oder Laminin sowie aus Polysacchariden. Diese können durch PAS (periodic acid Schiff)-Reaktion angefärbt werden. Basalmembranen erscheinen stark verdickt; analoge Befunde ergeben sich in der Elektronenmikroskopie. Macht man IgG oder Komplement in der Fluoreszenzmikroskopie sichtbar, folgt die Färbung der glomerulären Basalmembran.

Die Betonung dieser Membranen hat zur morphologischen Bezeichnung membranöse Glomerulopathie geführt. In der Praxis wird häufiger der Begriff membranöse Glomerulonephritis verwendet, der insofern irreführend ist, weil ja gerade keine Infiltration besteht.

Man hat natürlich versucht, die von Antikörpern gebundene Struktur auf den Podozyten zu identifizieren. In vielen Fällen handelt es sich um den Phospholipase-A2-Rezeptor oder um die neutrale Endopeptidase (CD10 oder CALLA). Bei Kindern wurde gezeigt, dass in manchen Fällen Antikörper gegen bovines Serumalbumin aus Milch oder Rindfleisch involviert sind. Nachdem dieses die Darmbarriere, vielleicht via M-Zellen, in Spuren intakt überwindet, wird es in einen kationischen Zustand überführt. In diesem kationischen Zustand setzt es sich in die mit negativen Ladungen gespickte Basalmembran in der Nähe der Podozytenmembran und wird dort durch Antikörper gegen das Fremdprotein attackiert.

Nephrotisches Syndrom: Bei membranöser Glomerulopathie verliert der Patient in der Regel große Mengen Protein aller Größen, also auch Immunglobuline, im Urin, aber keine Erythrozyten oder andere Zellen. Ein nephrotisches Syndrom kann prinzipiell aber auch durch isolierten, starken Albuminverlust ausgelöst werden.

Das nephrotische Syndrom ist gekennzeichnet durch ausgeprägten Plasmaproteinverlust in Verbindung mit Na+-Retention und Ödemen. Doch was ist Ursache und was ist Effekt? Dieser Punkt ist umstritten und möglicherweise von Fall zu Fall verschieden:

Underfill-Hypothese: Der Proteinverlust reduziert den intravaskulären onkotischen Druck, sodass filtrierte Flüssigkeit im Interstitium zurückbleibt. Die verringerte vaskuläre Füllung aktiviert das Renin-Angiotensin-Aldosteronsystem und führt zu einer kompensatorischen Na+‑Retention.

Overflow-Hypothese: Verstärkte glomeruläre Proteinfiltration schädigt das Nephron in einer Weise, die zu primärer Na+- und Flüssigkeitsretention führt, wahrscheinlich über ANP-Resistenz. Die Steigerung des effektiven Kreislaufvolumens führt zum overflow und sekundärer Ödembildung. Einige klinische und experimentelle Beobachtungen sprechen für diese Hypothese. In vielen Fällen sinken die onkotischen Drücke in Plasma und Interstitium parallel ab, sodass die onkotische Druckdifferenz konstant bleibt. Werden Patienten mit Glucocorticoiden behandelt, gehen die Ödeme oft zurück vor die Plasma-Albuminkonzentration ansteigt.

Die GFR bleibt beim nephrotischen Syndrom meist normal, kann aber auch abfallen.

Um die Proliferation und die Antikörperproduktion durch B-Zellen zu hemmen, beinhaltet die Therapie der membranösen Glomerulopathie eine intensive Immunsuppression.

Ein Podozytenschädigung mit nephrotischem Syndrom kann in zwei weiteren Varianten auftreten, "leicht" und "schwer":

·      leichte funktionelle Schädigung: minimal change disease

·      massive Zerstörung: primär fokale segmentale Glomerulosklerose (diese kann auch ohne nephrotisches Syndrom auftreten, wenn die Zerstörung rasch den Durchfluss stoppt)

In beiden Fällen sind in der Regel keine Antikörper nachweisbar; der Mechanismus der Podozytenschädigung muss daher ein anderer sein, doch bleibt dieser unklar. Wahrscheinlich ist die Intensität, nicht die Qualität, dieser Schädigung entscheidend dafür, welche der beiden Formen entsteht.

Minimal change disease: Lichtmikroskopisch wirken die Glomerula völlig normal. Da weder Antikörper noch Komplement in der Fluoreszenzmikroskopie nachweisbar sind, spekuliert man, dass Podozyten auf lösliche Zytokine reagieren und ihre Fußfortsätze zurückziehen, eine Veränderung, die man zumindest im Elektronenmikroskop nachweisen kann. Wie kommt man auf Zytokine? Behandlung mit Glucocorticoiden bringt das nephrotische Syndrom meist zum Verschwinden, und wie wir gesehen haben, hemmen Glucocorticoide die Expression vieler Zytokine. Schleicht man die Glucocorticoide aus, erfolgt häufig ein Rückfall.

Primär fokale segmentale Glomerulosklerose: Bei dieser Form werden Podozyten nekrotisch und gehen ganz verloren. Sie können nicht ersetzt werden. Der Durchfluss durch die Basalmembran ist so massiv, dass große Proteine sich dort in großen Mengen ablagern, bis das Filter vollständig verstopft wird. Glomerulosklerose bezeichnet den Kollaps oder das Verstopfen von glomerulären Kapillaren.  "Segmental" bedeutet, dass ein Teil des Kapillarbüschels betroffen ist, "fokal", dass nach lichtmikroskopischen Kriterien weniger als 50% der Glomerula betroffen sind.

 

Schädigung der gesamten glomerulären Kapillaren: primär nephritische glomeruläre Erkrankungen

 

(Diffuse) proliferative Glomerulonephritis. Jeder Filter neigt dazu, Partikel anzusammeln. Wenn große Mengen von Immunkomplexen im Blut zirkulieren, müssen sich viele in der glomerulären Basalmembran ansammeln. Da sich keine Basalmembran zwischen Kapillaren und mesangialem Raum befindet, werden Immunkomplexe auch ins Mesangium gespült. In einem alternativen Mechanismus kann es auch vorkommen, dass sich Immunkomplexe erst in der glomerulären Basalmembran bilden, falls Antikörper gegen Basalmembrankomponenten auftauchen.

Klassische Beispiele für das Ansammeln zirkulierender Immunkomplexe sind Poststreptokokkenglomerulonephritis und Lupusnephritis. Damit wird in der unmittelbaren Nachbarschaft von Endothelzellen und vorbeikommenden Leukozyten Komplement aktiviert und C3a und C5a freigesetzt. Endothel reagiert darauf, Leukozyten bleiben am aktivierten Endothel haften und quetschen sich zwischen die Endothelzellen, um die Immunkomplexe zu phagozytieren. Ein Teil dieser Leukozyten arbeitet im Mesangium. In der Lichtmikroskopie sieht man daher eine vergrößerte Zellzahl, bzw. bei den dichten Strukturen im Glomerulum eine erhöhte Kernzahl, was die Pathologen anno dazumal verleitet hat, den Prozess als "proliferativ" zu beschreiben. Das hat sich zwar als falsch herausgestellt, denn es handelt sich um Infiltration, doch der Name ist geblieben. Aktivierte Makrophagen sezernieren IL‑1β, TNFα, IL‑6 und die Proteasen aus ihren Granula. Dadurch wird die Basalmembran lokal abgebaut und geschädigt, sodass auch Erythrozyten das Filter passieren.

Nephritische Symptome: Es besteht Hämaturie; im Harnsediment findet man Erythrozyten und eventuell Zylinder. Es besteht auch Proteinurie, doch ist diese oft weniger ausgeprägt, da nur ein Teil der Glomerula geschädigt sind. Ein nephrotisches Syndrom mit Ödemen kann also entstehen, muss aber nicht. Abhängig vom Ausmaß der Schädigung bewegt sich die GFR zwischen normal und ausgeprägt reduziert. Na+-Retention kann zu Bluthochdruck führen.

Diese diffuse proliferative Glomerulonephritis ("diffus" bedeutet, der Großteil der Glomerula ist betroffen, im Gegensatz zu "fokal") ist die typische postinfektiöse Glomerulonephritis, die nach einigen Wochen meist wieder vorübergeht. Wenn allerdings die Immunkomplexbildung weitergeht, entwickelt sich mit der Zeit eine andere Morphologie:

Membranoproliferative Glomerulonephritis. Werden Infektionen chronisch, wie bei Virushepatitis, oder entwickeln sich chronische Autoimmunprozesse wie bei systemischem Lupus erythematodes, werden die Immunkomplexablagerungen mit der Zeit immer größer, trotz aller Bemühungen einwandernder Makrophagen, sie wieder zu entfernen. Endothelzellen versuchen, die Halde zuzudecken, indem sie eine neue Basalmembran darüber synthetisieren. In der PAS-Färbung können dadurch typische "Schienen"-Konturen sichtbar werden: zwei PAS-positive Basalmembranen getrennt durch das Band der Immunkomplexhalde. Mehr sichtbare Membranen und mehr Zellen: daher die Bezeichnung membranoproliferative Glomerulonephritis. Klinisch ist zu erwarten, dass die Hämaturie persistiert, die GFR schlechter wird, die Prognose ist nicht gut.

Ein ähnliches Krankheitsbild entwickelt sich bei Individuen, die auf Grund einer genetischen Veranlagung mit einem besonders leicht aktivierbaren Komplementsystem belastet sind. Wie wir bereits früher gesehen haben, wird Komplement auf dem alternativen Weg dauernd aktiviert, gleichzeitig jedoch durch Hemmer wie Faktor H, I oder MCP (CD46) dauernd wieder eingebremst. Ein homozygoter Defekt in einem dieser bremsenden Faktoren führt zu einer Sonderform der membranoproliferativen Glomerulonephritis, die wir als dense deposit disease oder C3-Glomerulonephritis (wegen der vorherrschenden Komplementkomponente C3) bezeichnen. Komplement-induzierte Hämolyse kann die Nierenschädigung noch komplizieren und zu einem atypischen hämolytisch-urämischen Syndrom führen (aHUS).

Pharmakologische Querverstrebung: Eculizumab hemmt die Komplementaktivierung bei C5 und kann zur Behandlung von aHUS eingesetzt werden.

Mesangioproliferative Glomerulonephritis (IgA-Nephritis) und Purpura Schönlein-Henoch. Den gemeinsamen Nenner dieser Erkrankungen stellen Immunkomplexe dar,die IgA1 enthalten. Die Erkrankung beginnt nur ein bis zwei Tage nach einer Reinfektion mit einem dem Schleimhautimmunsystem schon bekannten infektiösen Agens im Atmungs- oder Gastrointestinaltrakt, besonders häufig in der Form von Pharyngitis. Immunkomplexe, die I enthalten, verursachen Vaskulitis mit vielen kleinen Blutungen. Bleibt der Prozess auf die Niere beschränkt, kann Hämaturie das einzige Symptom sein. Involviert der Prozess weitere Organsysteme, entwickelt sich die klassische Schönlein-Henoch-Trias mit Purpura an Beinen und Gesäß, Arthritis und Bauchkrämpfen, mit oder ohne Hämaturie.

Das IgA1 in den Immunkomplexen ist insoweit ungewöhnlich, als ihm normalerweise vorhandene Galaktoseeinheiten in der Glykosylierung nahe der Scharnierregion fehlen. Warum diese Glykosylierung in betroffenen Individuen verändert ist, wird noch nicht ausreichend verstanden. Eine Hypothese sieht natürlich vorkommende Anti-Polysaccharid-Antikörper vom IgA1- oder IgG-Typ diese veränderten Glykosylierungen binden; damit ergibt sich eine Art Rheuma-Faktor: ein Immunkomplex, der aus zwei Antikörpern besteht. Die Komplexe aktivieren anscheinend indirekt, über den Lektin- oder alternativen Weg, Komplement. Bestimmte Genvarianten des Komplementhemmers Faktor H begünstigen die Entstehung der Erkrankung. Die Immun-Komplement-Komplexe werden durch Rezeptoren auf mesangialen Zellen erkannt. Mesangiumzellen beginnen zu proliferieren (JA! diesmal stimmt es!), sezernieren Zytokine und produzieren große Mengen extrazellulärer Matrix. Bei Kindern hat die Erkrankung eine gute Prognose, bei Erwachsenen treten Chronizität und Komplikationen häufiger auf.

Goodpasture-Syndrom: Antikörper gegen die Basalmembran. Während die bisher in diesem Abschnitt erwähnten Erkrankungen durch Immunkomplexe ausgelöst werden, also Typ III-Reaktionen nach dem Schema von Gell und Coombs sind, kann das Glomerulum auch durch einen direkten Angriff, also eine Typ II-Reaktion, geschädigt werden. Beim Goodpasture-Syndrom entstehen Antikörper gegen ein Epitop der α3-Kette von Typ IV-Kollagen, des Hauptproteinbestandteils von Basalmembranen. Wenig überraschend entwickeln viele Patienten nicht nur Nieren- sondern auch Lungensymptome, mit Dyspnoe, Husten, blutigem Husten und Schmerzen im Brustkorb. Unklar ist dem Schreiber dieser Zeilen jedoch, wieso nicht auch die Basalmembranen anderer Organe betroffen sind.

Die Schädigung des Glomerulum ist meist schwer, mit fokalen Nekrosen, Halbmondbildung und charakteristischer linearer, nicht granulärer Verteilung von IgG entlang der Basalmembranen. Nierenversagen kann sich rasch entwickeln. Therapeutisch ist es notwendig, so viel Antikörper wie möglich durch Plasmapherese zu entfernen und die Bildung neuen Antikörpers durch aggressive Immunsuppression zu unterdrücken. Trotzdem sind die Nieren vieler Patienten in wenigen Monaten zerstört.

 

Sekundär fokale segmentale Glomerulosklerose mit Hyalinose (Altern auf "Nierisch"):

Im Lichtmikroskop ist diese Erkrankung oft nicht unterscheidbar von der vorher besprochenen primären Form, die auf direkte Podozytenschädigung zurückgeht. Die sekundäre Form wird ausgelöst, wenn der Verlust von Nephronen eine gewisse Grenze überschritten hat. Welcher Mechanismus zum Nephronverlust geführt hat, ist dabei unerheblich.

Die sekundäre Form ist eine Folge der wachsenden Belastung der übrig bleibenden Nephrone, die hypertrophieren und ihre Einzelnephron-GFR steigern. Die höhere Filtrationsrate wird erreicht, indem das Nephron, in Verbindung mit einem erhöhten systemischen Blutdruck, das Vas afferens öffnet, während das Vas efferens verengt wird.  Der erhöhte Druck hämmert also unablässlich auf die glomerulären Kapillaren, die sich weiten und verlängern, sodass die Filtrationsfläche des Nephrons auf ein Maximum erweitert wird. Podozyten sind terminal differenzierte Zellen und können wahrscheinlich nicht ersetzt werden. Auch sie werden auf ein Maximum gestreckt, können dabei jedoch nicht alle Verbindungen zu Nachbarpodozyten aufrechterhalten, sodass die Schlitzmembran unter der Basalmembran hier und da einreißt. An den Stellen dieser Risse ist das Filter viel durchlässiger, der hydrodynamische Widerstand geringer, sodass Plasma und Proteine durchrauschen. Der Tubulus ist nicht mehr in der Lage, all diese Proteine rückzuresorbieren, es entsteht zunächst Mikroalbuminurie, später wird mehr Protein im Urin ausgeschieden. Die im individuellen Nephron stark erhöhte Proteinreabsorption belastet die Tubuluszellen. Große Proteine, wie IgM oder Fibrin, sind allerdings auch für die größeren Poren der Basalmembran zu groß und bleiben im Filter hängen; mit der Zeit verstopfen sie die Kapillarwand mit einem hyalinen Depot (hyaline Masse, Amyloid, alles dasselbe- Proteinschlamm à la Graukäse).

Der auf den Kapillaren lastende hohe Druck und die hohen Scherkräfte führen auch auf der schwächeren Seite zum Mesangium zu Rissen, sodass Plättchen Kontakt zu Komponenten der extrazellulären Matrix erhalten. Thrombose und Thrombusorganisation folgen und lassen kollabierte Kapillarbündel zurück, die im Mikroskop als segmentale Glomerulosklerose sichtbar werden.

Noch vor das Glomerulum vollständig zusammenbricht, wird bereits der Tubulus in Mitleidenschaft gezogen. Der globale Rückgang der GFR führt zu einem Anstieg des Phosphatspiegels (siehe FGF23, unten). Durch die Schlitzmembranrisse filtriertes Transferrin vergrößert die Belastung der Tubuluszellen mit Eisen, das toxisch wirkt, indem es die Entstehung von reaktiven Sauerstoffverbindungen begünstigt.

Schließlich bricht das Glomerulum vollständig zusammen. Der Blutfluss aus dem Vas efferens kommt zum Erliegen. Die fehlende Durchblutung der nachfolgenden Kapillarschleife schädigt nicht nur den eigenen Tubulus, was inzwischen egal wäre, sondern auch die nun hypoxisch werdenden Zellen von Nachbartubuli.

Der Circulus vitiosus dreht sich weiter: je mehr Nephrone untergehen, desto höher steigt die Last auf den verbleibenden. Klinisch manifestiert sich der Prozess mit einem langsamen Kreatininanstieg, langsam steigender Proteinurie und ansteigender Hypertonie. Mit der Zeit führt er zum terminalen Nierenversagen.

Pharmakologische Querverstrebung: Mit oder ohne Diabetes, mit oder ohne Bluthochdruck wird eine Kombination aus SGLT2-Hemmer und ACE-Hemmer/AT1-Antagonist und allenfalls Finerenon eingesetzt, um das Fortschreiten der Niereninsuffizienz zu verlangsamen:

1.    SGLT2-Hemmer wie Dapagliflozin oder Empagliflozin hemmen die Rückresorption von Glucose und Na+ im proximalen Tubulus, sodass mehr Na+ und Cl die Macula densa erreicht. Über tubuloglomerulären Feedback wird das Vas afferens enger gestellt.

2.    ACE-Hemmer oder AT1-Antagonisten vermindern die Angiotensin‑II-Wirkung auf das Vas efferens, sodass dieses weiter gestellt wird.

Die Kombination der beiden Medikamente vermindert den Effekt des unablässig auf die Glomerulumkapillaren hämmernden Blutdrucks. Dies wird natürlich erkauft durch eine initiale Senkung der GFR. Weil aber so auf die Dauer mehr Glomerula erhalten bleiben, geht die GFR mit dieser Medikation langsamer zurück als ohne. Dazu kommt eine oft erwünschte Gewichtsreduktion durch die Ausscheidung von Glucose und positive Wirkungen auf die Funktion von Herz und Kreislauf.

3.    Zusätzlich wird häufig noch Finerenon eingesetzt, da auch unter Hemmung der Angiotensin‑II-Wirkung oft noch ein beträchtlicher mineralocorticoider Effekt besteht. Dieser "Aldosteron"-Antagonist führt nicht nur zu einer längeren Erhaltung der Nierenfunktion, sondern wirkt sich auch positiv auf die Herz-Kreislaufentwicklung aus. Durch seinen nichtsteroidalen Aufbau hat Finerenon eine geringere Affinität als Spironolacton zu anderen Steroidrezeptoren – Androgen-, Progesteron- oder Glucocorticoidrezeptor­ – und damit, angesichts der notwendigen Dauermedikation, geringere Nebenwirkungen wie Gynäkomastie oder Libidoverlust.

 

 

10. TUBULOINTERSTITIELLE ERKRANKUNGEN

 

Die Blutversorgung der Tubuli erfolgt ausschließlich durch Blut, das Glomerula durch die Vasa efferentia verlässt. Jeder Prozess, der zum Untergang von Glomerula führt, schädigt dadurch auch die Tubuli.

Abgesehen von Problemen mit der Blutversorgung können Tubuli durch Infektionen, Autoimmunphänomene, toxische Effekte oder genetische Veränderungen geschädigt werden.

 

Pyelonephritis

 

Infektionen des Nierenparenchyms erfolgen meist durch Bakterien, die durch die ableitenden Harnwege aufsteigen. Bei Kindern wie bei Erwachsenen geschieht das beim weiblichen Geschlecht wesentlich häufiger, bedingt durch:

·      die kurze weibliche Urethra, die die Passage von Bakterien erleichtert, besonders in Zusammenhang mit Geschlechtsverkehr

·      das Vorhandensein der vaginalen Mikrobiota

·      das Fehlen eines dem antibakteriellen Prostatasekret analogen Mechanismus

 

Aufsteigende Infektionen werden durch eine Reihe von Faktoren auf Erreger- und Patientinnenseite begünstigt. Dazu gehört einerseits die Fähigkeit von Bakterien, an den Glykolipiden des Urothels zu adhärieren, andererseits vesicoureteraler und intrarenaler Reflux. Intrarenaler Reflux wird durch zusammengesetzte, "doppelgipflige" Papillen gefördert, wo die Mündungen der Sammelrohre weniger gut durch den hydrostatischen Druck im Nierenbecken zugedrückt werden. Pyelonephritische Narben treten daher häufig an den Nierenpolen auf, wo zusammengesetzte Papillen häufiger anzutreffen sind.

Pyelonephritis ist deshalb kritisch, da die Infektion und die damit verbundene unvermeidliche Gewebsschädigung durch infiltrierende neutrophile Granulozyten und Makrophagen ein Gewebe betrifft, das schon in der besten Situation unter rauen Bedingungen und mit geringer Blutversorgung arbeitet. Steigt der interstitielle Druck durch erhöhte Gefäßpermeabilität an, reduziert das Kapillardurchblutung und Sauerstoffversorgung noch weiter. Bei schweren Infektionen oder verzögerter antibiotischer Therapie gehen ganze Papillen verloren, da Tubuli nicht ersetzt werden können. Zurück bleibt eine dünne Schicht Nierenrinde mit nutzlosen Glomerula über einem leeren Kelch.

 

Medikamenten-induzierte Nierenschädigung

 

Medikamente können die Funktion der Niere über vaskuläre  Effekte sowie über Tubuluseffekte beeinträchtigen. Die Tubuli sind durch ihre Fähigkeit, Substanzen zu konzentrieren, toxischen Wirkungen besonders ausgesetzt. Erinnern wir uns einmal mehr, dass Zellen der Henle-Schleife und des medullären Sammelrohrs in einer hyperosmotischen, hypoxischen Mikroumgebung sitzen, gleichzeitig jedoch metabolisch hochaktiv sind. Dazu kommt, dass viele Medikamente im proximalen Tubulus durch Cytochrom P450‑ und andere Enzyme metabolisiert werden, sodass der spätere Tubulus besonderen Metaboliten in besonderer Konzentration ausgesetzt ist.

Umgekehrt bedeutet die zentrale Rolle der Niere für die Eliminierung von Medikamenten, dass ihr Funktionsniveau in der Auswahl und Dosierung von Medikamenten immer mitbedacht werden muss. Bei vielen Medikamenten muss die Induktions- und Erhaltungsdosis auf Basis der eGFR berechnet werden; manchmal ist gleichzeitige Volumengabe notwendig, um Konzentrierungseffekte zu begrenzen. Betrachten wir einige Beispiele.

 

Vaskulär betonte Nebenwirkungen

 

Nicht-steroidale Entzündungshemmer (NSAIDS) sind wahrscheinlich die weltweit am meisten eingenommenen Medikamente. Hemmung der Cyclooxygenase behindert die Prostaglandine in ihrer Funktion, das Vas afferens über ein breites Spektrum physiologischer und pathologischer Situationen offen zu halten. Dieser negative Effekt wird natürlich verstärkt,  wenn gleichzeitig Hypovolämie besteht. Der Einsatz von COX-Inhibitoren im Ausdauersport vergrößert das Risiko einer Hyponatriämie bei übertriebener Flüssigkeitszufuhr.

ACE-Hemmer und AT1-Rezeptorantagonisten hemmen die Wirkung von Angiotensin II, das wichtig dafür ist, die GFR aufrecht zu halten, wenn der systemische Druck fällt, und können so die Nierenfunktion einschränken. Verstärkt wirkt sich das in Kombination mit COX-Inhibitoren, Cyclosporin oder Tacrolimus aus, speziell bei Patienten mit Herzinsuffizienz oder in Hypovolämie-Situationen.

Calcineurin-Inhibitoren wie Cyclosporin und Tacrolimus hemmen die für die T‑Zellproliferation notwendige autokrine IL‑2-Rückkopplungsschleife und werden zur Immunsuppression, z. B. nach Nierentransplantation, eingesetzt. Sie haben eine geringe therapeutische Breite und können die Niere über mehrere Mechanismen schädigen, von denen der wichtigste wohl die Konstriktion des Vas afferens ist.

Jodhaltige Röntgenkontrastmittel gehören zu den häufigsten Ursachen akuter Nierenfunktionseinschränkungen im Spital. Ihre intravenöse Anwendung hat eine starke Konstriktion des Vas afferens zu Folge und verstärkt auf diese Weise die Hypoxie im Nierenmark. Typisch ist ein Anstieg des Serumkreatinins innerhalb von 24-48 Stunden. "Vorwässern" senkt die Häufigkeit dieser Komplikation.

 

Tubulär betonte Nebenwirkungen

 

Aminoglykoside werden frei filtriert und dann rückresorbiert, sodass sie sich in proximalen Tubuluszellen anreichern. Sie sind kationisch und interferieren mit dem Transport der Kationen K+, Mg2+ und Ca2+, sodass Hypokaliämie, Hypomagnesiämie und Hypokalzämie ausgelöst werden können. Ausgeprägte Akkumulation kann zum Zelltod führen. Sogar für normale therapeutische Konzentrationen wurden nephrotoxische Effekte in bis zu 10-25% berichtet.

Sulfamethoxazol-Trimethoprim kann zu Hyperkaliämie führen, da Trimethoprim ENaC im Sammelrohr hemmt, also wie das K+-sparende Diuretikum Amilorid wirkt.

Amphotericin B wird zur Behandlung systemischer Pilzinfektionen eingesetzt. Sein Name bezieht sich auf seine amphipathischen Eigenschaften: es pflanzt sich in Lipidmembranen neben Ergosterol ein, einem Sterol, das in Pilz-, nicht aber in humanen Membranen vorhanden ist. Amphotericin B stört die Membranfunktion und führt z. B. dazu, dass K+  aus der Zelle ausrinnt. Allerdings hat es auch eine gewisse Affinität zum Sterol unserer Membranen, dem Cholesterol. Dieser Effekt liegt seiner Toxizität zu Grunde. Die Nierentoxizität beginnt mit tubulärer Azidose, verminderter Konzentrierungsfähigkeit und Elektrolytverschiebungen, kann jedoch bis zur akuten Tubulusnekrose führen. Da der therapeutische Einsatz von Amphotericin B häufig durch die Nierentoxizität limitiert wurde, wurde eine liposomale Darreichungsform mit verbesserter renaler Verträglichkeit entwickelt.

Aciclovir, das zur Behandlung von ernsten Infektionen mit Viren der Herpesfamilie verwendet wird, kann durch Präzipitation Tubulusschäden auslösen. Wichtig sind daher niedrige Infusionsgeschwindigkeit und ausreichende Volumenzufuhr zur Diuresesteigerung.

Lithium wird zu Behandlung bipolarer Störungen eingesetzt. Li+-Ionen hemmen die Adenylatcyclase und senken damit cAMP, den second messenger von ADH. Das verringert die Zahl der Aquaporine in der apikalen Membran des Sammelrohrs und kann so Diabetes insipidus auslösen.

HMG-CoA-Reductase-Inhibitoren oder Statine hemmen den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt der Cholesterinsynthese und gehören zu den meistverbreiteten Medikamenten. Eine häufige Nebenwirkung dieser Pharmazeutikaklasse ist Myopathie, die von der häufigen Myalgie bis zur sehr seltenen Rhabdomyolyse reichen kann. Bei Rhabdomyolyse sickert der Inhalt geschädigter Muskelzellen ins Plasma. Myoglobin, ein 17 kDa-Protein mit einer Häm-Gruppe zur Bindung von Sauerstoff, wird in großen Mengen freigesetzt und filtriert. So wie andere Proteine auch, wird Myoglobin durch den Megalin/Cubilin-Komplex aufgenommen und so in proximalen Tubuluszellen konzentriert. Erinnern wir uns, dass Hämgruppen mit ihrem zentralen Eisenatom Redoxreaktionen in sorgfältig regulierten Systemen wie Cytochrom P450-Oxidasen oder Enzymen der mitochondrialen Atmungskette ermöglichen. Durch die Anreicherung produzieren sie nun reaktive Sauerstoffverbindungen in proximalen Tubuluszellen, bis mit der Zeit der Zelltod eintritt. Rhabdomyolyse als Statinnebenwirkung ist daher mindestens so sehr ein Nierenproblem wie ein Muskelproblem.

Cisplatin ist selbstverständlich von vornherein ein extrem toxisches Molekül, das Tumorzellen durch Quervernetzung von DNA-Strängen töten soll. Diese Toxizität wird in Tubuluszellen durch Anreicherung noch verstärkt.

Methotrexat blockiert die Dihydrofolatreductase und soll Tumorzellen daran hindern, Purine und Thymidin, die Bausteine der DNA, zu synthetisieren. Diese Toxizität wird in der Niere durch Auskristallisieren noch gesteigert, ein Vorgang, der durch einen sauren pH gefördert wird. Niedriger pH ist das Resultat der für unsere westlichen Industrieländer typischen, proteinreichen Ernährung.

 

Polyzystische Nierenerkrankungen

 

Polyzystische Nierenerkrankung (polycystic kidney disease, PKD) ist ein Überbegriff für genetische Erkrankungen, die zu Tubulusdefekten mit Zystenbildung führen. Es gibt Hinweise, dass verschiedene Formen dieser Erkrankung als gemeinsamen Nenner eine Fehlfunktion des sogenannten primären Ziliums haben. So gut wie alle Zellen verfügen über diese einzelne, unbewegliche, aus der Zelle hinausragende Struktur, die mit zahlreichen Rezeptoren besetzt ist. Das primäre Zilium kann als Art Antenne gesehen werden, die den Signalempfang konzentriert.

Die autosomal dominante polyzystische Nierenerkrankung ist, mit einer Inzidenz von 1:500, die häufigste Form. Die betroffenen Gene, PKD1 und PKD2, kodieren Transmembranproteine, die einen gemeinsamen Komplex am primären Zilium formen, der wahrscheinlich als Mechanosensor für die Flussrate im Tubulus dient: PKD2 kodiert dabei einen Ca2+-Kanal. Bereits in utero beginnen sich in einem kleinen Prozentsatz der Nephrone Zysten zu entwickeln. Mit der Zeit nehmen diese Zysten an Größe zu und komprimieren umgebendes Parenchym. Ein frühes Zeichen kann eine verminderte Konzentrationsfähigkeit der Niere sein. Im späten Erwachsenenalter kann die Erkrankung durch stetige Progression zu terminaler Niereninsuffizienz führen.

Autosomal rezessive Formen sind weniger häufig, vielfach jedoch schwerer im Verlauf.

Bei der polyzystischen Nierenerkrankung ist es besonders wichtig, erhöhten Blutdruck wieder in den Normalbereich einzustellen, da der Blutdruck dazu beiträgt, die Zysten "aufzublasen". Außerdem sprechen die betroffenen Tubuluszellen in der Regel auf ADH/AVP an, das deren Proliferation verstärkt.  Deshalb kann der –sehr teure- V2-Antagonist Tolvaptan kann bei einem Teil der Patienten die Progression bremsen.

 

 

11. RENALE HANDHABUNG VON CALCIUM UND PHOSPHAT

 

Zur Regulation des Calcium- und Phosphathaushalts werden wir noch einmal zurückkehren, wenn wir den Knochenstoffwechsel studieren. Für den Augenblick konzentrieren wir uns auf die renalen Aspekte. Calcium- und Phosphatvorräte werden in unserem Organismus nach gegensätzlichen Grundsätzen reguliert:

·      Der zur Aufrechterhaltung unserer Langzeit- Ca2+-Vorräte regulierte Hauptparameter ist die Aufnahme aus dem Darm. Das wird erreicht, indem wir Vitamin D durch Hydroxylierung "anschalten". Dieser Mechanismus wäre zu träge, um unser Plasma-Ca2+ zu regulieren, das in einer sehr engen Bandbreite geführt werden muss. Der Plasma-Ca2+-Spiegel wird daher über einen Kurzzeitmechanismus reguliert: wenn notwendig, setzt Parathormon Ca2+ aus dem Knochen frei. Auch dies beginnt erst nach zwei bis drei Stunden; davor werden Schwankungen des Ca2+-Spiegels physikalisch durch den Knochenspeicher gepuffert. Die Konzentration von Ca2+ im Blutplasma wird im schmalen Band von 2.2 bis 2.7 mM reguliert. Dieses gemessene Ca2+ stellt die Summe dreier Formen dar: an Protein, hauptsächlich Albumin, gebundenes (ca. 45%), mit kleinen organischen Anionen komplexiertes (ca. 10 %) und freies Ca2+ (ca. 45%). Das Gesamt- Ca2+ ist daher von der Plasmaprotein-Konzentration abhängig. Die relevante, regulierte Größe ist das freie Ca2+. Verstärkte Inanspruchnahme von Parathormon schaltet Vitamin D zur Wiederauffüllung des Knochenspeichers an.

·      Phosphat dagegen wird als schwer erhältliche und wertvolle Ressource behandelt: wir nehmen alles auf, was wir bekommen können und scheiden nur den Überschuss via Niere wieder aus. Das Hauptwerkzeug dafür ist Fibroblast growth factor 23, das nach einem Phosphatimport aus dem Darm ansteigt und die renale Phosphatausscheidung ankurbelt.

Betrachten wir die Systeme etwas detaillierter:

 

Parathormon (PTH)

 

Parathormon wird durch die vier Epithelkörperchen hinter der Schilddrüse synthetisiert. Steigende Konzentration freien Ca2+ im Plasma aktiviert den Calcium-sensing receptor (CaSR) auf der Membran der Epithelkörperchen-Hauptzellen und drosselt die Freisetzung von PTH.

Pharmakologische Querverstrebung: Cinacalcet ist ein kleines Molekül mit Affinität zur "anderen Seite" des calcium-sensing-receptor. Es macht den Rezeptor allosterisch sensitiver für freies Ca2+, sodass dieser die PTH-ausschüttung bei geringeren Plasma- Ca2+-Konzentrationen drosselt. Seine Hauptanwendung ist die Behandlung des sekundären Hyperparathyroidismus bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz.

PTH steigert die Konzentration freien Plasma- Ca2+ über eine Doppelstrategie: durch Mobilisierung aus dem Knochen mit gleichzeitiger Nierenadjustierung. Im Knochen setzen Osteoklasten Ca2+ und Phosphat durch lokale Ansäuerung frei. Wäre das alles, würde es uns nicht viel helfen: wegen ihres geringen Löslichkeitsprodukts würden Ca2+ und Phosphat einfach anderswo im Körper wieder ausfallen.

Darum hat PTH drei Effekte in der Niere:

  1. PTH senkt den Plasmaphosphatspiegel durch Hemmung der renalen Rückresorption. Durch Aktivierung seines Rezeptors stimuliert PTH zwei G-Proteine. Gαs stimuliert die Adenylatcyclase und, via cAMP, Proteinkinase A (PKA). Gαq aktiviert Phospholipase C und, via Diacylglycerol und Ca2+-Freisetzung, Proteinkinase C (PKC). PKA und PKC bewirken durch Phosphorylierungen, dass der Na-Pi-Cotransporter aus der apikalen Membran entfernt und in einem Vesikelkompartiment unterhalb der Membran geparkt wird. Auf diese Weise wird die Phosphatreabsorption im proximalen Tubulus stark reduziert; Phosphat wird als titrierbare Säure ausgeschieden.
  2. PTH minimiert den Ca2+-Verlust. Im dicken aufsteigenden Teil der Henle-Schleife und im Sammelrohr erhöht PTH die Offenwahrscheinlichkeit des apikalen Ca2+-Kanals und induziert ein Ca2+-pufferndes Protein im Zytosol. In Summe steigert es so die Rückresorption.
  3. PTH schaltet Vitamin D an. In proximalen Tubuluszellen induziert PTH CYP27B1, das Enzym, das an das C1-Atom von 25‑Hydroxy-Vitamin D eine Hydroxylgruppe anhängt, sodass das biologisch aktive 1,25‑Dihydroxy-Vitamin D entsteht. Das aktive Vitamin D füllt dann die Ca2+-Speicher von außen wieder auf.

 

Vitamin D

 

Das fettlösliche Vitamin D kann einerseits aus der Nahrung aufgenommen werden, z. B. aus Fettfischen, andererseits in unserer eigenen Haut mit Hilfe des UV-B von Sonnenlicht aus 7‑Dehydrocholesterol produziert werden.

Vitamin D, das bereits eine Hydroxylgruppe enthält, wird mit Hilfe zweier weiterer Hydroxylierungen zu 1,25‑Dihydroxy-Vitamin D oder Calcitriol aktiviert. Die erste Hydroxylierung erfolgt an Position 25, dem Ende der Seitenkette, in der Leber. Die zweite, in Position 1, erfolgt, sorgfältig reguliert, im proximalen Tubulus. PTH stimuliert diese Hydroxylierung, während das Endprodukt Calcitriol sowie erhöhte Phosphatspiegel über FGF23 hemmend wirken. Calcitriol aktiviert den Vitamin D-Rezeptor, ein Mitglied der nuclear receptor superfamily, der von den meisten Zellen unseres Organismus exprimiert wird. Als ligandabhängiger Transkriptionsfaktor ist eine seiner Funktionen, Gene zu aktivieren, die notwendig sind, um die Ca2+-Reserven zu erhalten.

Vitamin D füllt die Ca2+-Reserven auf, indem es die Aufnahme von Ca2+ aus der Nahrung im Duodenum fördert. In der Niere ähnelt die Wirkung von Vitamin D bezüglich Ca2+ jener von PTH, indem es die Ca2+-Reabsorption fördert, wenn auch viel schwächer. Im direkten Gegensatz zu PTH erhöht Vitamin D jedoch die Reabsorption von Phosphat.

 

Fibroblast growth factor 23 (FGF23)

 

FGF23, ein Mitglied der großen FGF-Familie extrazellulärer Signalmoleküle, reguliert in erster Linie den Phosphatspiegel. Es wird durch Osteoblasten und Osteozyten produziert. Die Stimulation zur Freisetzung erfolgt einerseits durch Phosphataufnahme aus der Nahrung, andererseits durch 1,25‑Dihydroxy-Vitamin D. Auf welche Weise Knochenzellen erfahren, dass Phosphat aus dem Darm aufgenommen wird, ist noch unklar. FGF23 erhöht die renale Phosphatausscheidung, indem es die Zahl der Na-Pi-Cotransporter in der apikalen Membran des proximalen Tubulus vermindert. In dieser Funktion wirkt es ähnlich wie PTH. Gegensätzlich zu PTH wirkt es dagegen, indem es die 1‑Hydroxylierung von Vitamin D hemmt: FGF23 reduziert die Expression von CYP27B1, das die 1-Hydroxylierung durchführt, aktiviert dagegen ein Enzym, das Vitamin D abbaut. Wenn FGF23 sein Ziel der Phosphatspiegeleinstellung erreicht, wird es abgebaut, obwohl wir den genauen Mechanismus dieser Regulation noch nicht vollständig verstehen. Gelingt es ihm nicht, den Phosphatspiegel ausreichend zu senken, steigt FGF23 an, möglicherweise einfach als Resultat eines reduzierten Abbaus in der Niere.

 

Was geschieht bei chronischer Nierenerkrankung?

 

Mit fortschreitendem Verlust von Nephronen müssen die übrigbleibenden Nephrone härter arbeiten, um alle Aufgaben zu erfüllen. Mit abnehmender eGFR steigt FGF23 an, um das Serumphosphat im Normalbereich zu halten. Nephrone sind bewundernswerte Arbeiter: sie sind in der Lage, ihre Anstrengungen ohne große Probleme zu verdoppeln. Doch natürlich gibt es Grenzen: sind nur mehr etwa ein Viertel der Nephrone übrig, bekommen sie Schwierigkeiten, die notwendigen Mengen von H+, K+ und Phosphat auszuscheiden. Die Phosphataufnahme aus dem Darm läuft weiter, FGF23 steigt weiter an, doch das nützt nicht mehr: die restlichen Nephrone scheiden das gesamte filtrierte Phosphat aus, aber das ist nicht genug. Langsam steigt der Phosphatspiegel weiter an. Das niedrige Löslichkeitsprodukt erzwingt den Ausfall von Calciumphosphat irgendwo im Körper, z. B. in der Wand von Arterien, was zur Mönckeberg-Mediaverkalkung führt. Das vermindert auch die aortale Windkesselfunktion und trägt zu linksventrikulärer Hypertrophie und der Verschlechterung der koronaren Blutversorgung bei.

Also, Phosphat ist auf der hohen Seite, FGF23 ist hoch und hält aktives Vitamin D niedrig. Von außen kommt zu wenig Ca2+ herein. Wie erhalten wir unter diesen Umständen den Ca2+-Spiegel? Es bleibt nichts anderes, als PTH hochzuschrauben. Auf diese Weise entsteht ein starker sekundärer Hyperparathyroidismus. Das ist natürlich keine gute Lösung: durch das dauernde Knabbern am Knochen entsteht mit der Zeit eine renale Osteodystrophie oder CKD-MBD (chronic kidney disease- mineral and bone disorder).

 

 

12. ERYTHROPOETIN (EPO)

 

Wie würden wir wohl ein System entwerfen, um sicherzustellen, dass wir immer die richtige Menge an Erythrozyten haben? Vielleicht würden wir versuchen, jene zu zählen, die wir abbauen oder verlieren und genauso viele durch neue zu ersetzen. Sogar, wenn uns das gelänge, wäre es keine gute Lösung. Sobald wir in der Höhe, vielleicht im Himalaya, versuchen würden, einen Hang hochzusteigen, würden wir keuchend merken, dass wir in dieser Situation mehr Erythrozyten benötigen als zu Hause. Gut, akzeptiert; das System müsste also auf Änderungen des mittleren Luftdrucks reagieren, noch besser, zusätzlich auch noch auf längerfristige Änderungen im mittleren Sauerstoffverbrauch. Wir müssten also die Sauerstoffkonzentration messen. Wo im menschlichen Körper würden wir die Sauerstoffsonde platzieren? Nicht in der Haut, denn die Haut bekommt eine Menge Sauerstoff von außen, wir würden nichts über die Sauerstofftransportkapazität im Blut erfahren. Nicht im gastrointestinalen System, denn die dortige Durchblutung ist zu variabel, denken wir an eine fight-or-flight-Reaktion. Wir müssen einen Ort tief drinnen im Körper mit einer hohen, möglichst konstanten Blutversorgung finden. Trotzdem sollte es gleichzeitig ein Ort sein, wo die Sauerstoffkonzentration eine kritische Untergrenze erreichen kann.

Die Natur hat unseren Sauerstoffsensor in das rindennahe Nierenmark gesetzt. In einer eleganten Rückkoppelung stimuliert ein Abfall des dortigen Sauerstoffpartialdrucks die Produktion neuer Erythrozyten im Knochenmark. Wie die meisten anderen Zellen auch, synthetisieren peritubuläre Zellen im Nierenmark permanent den Transkriptionsfaktor HIF‑1 (hypoxia-induced factor), der bei normalem PO2 ebenso permanent rasch und effizient wieder abgebaut wird. Der Abbau über das Ubiquitin-Proteasom-System wird durch ein O2‑abhängiges Enzym initiiert, eine Prolylhydroxylase. Dieses Enzym ist gerade in der Lage, mit Mühe zu funktionieren, solange ausreichend Sauerstoff in der Zelle vorhanden ist. Sobald der PO2 unter eine gewisse Grenze sinkt, stellt es seine Funktion ein. HIF‑1 wird also nicht mehr hydroxyliert, damit nicht mehr abgebaut, doch dauernd nachproduziert: es beginnt, in der Zelle zu akkumulieren. Im Zellkern induziert der in seiner Konzentration steigende Transkriptionsfaktor HIF‑1 seine Zielgene, darunter das Gen, das EPO kodiert. In Summe übersetzt dieser Mechanismus einen Abfall des renalen PO2 in eine Ausschüttung von EPO.

Pharmakologische Querverstrebung: HIF-Prolylhydroxylasehemmer wie Roxadustat werden verwenet, um die EPO-Produktion anzuregen. Sie haben auch dann noch einen Effekt, wenn die Nieren bereits geschädigt sind. Vorteil solcher Hemmer gegenüber EPO wären die orale Verfügbarkeit und die geringeren Produktionskosten. Die Substanzen sind damit auch attraktiv für Doping und stehen konsequenterweise auf der Dopingliste.

EPO beschleunigt die Proliferation von Vorläuferzellen der Erythrozyten-Entwicklungsreihe in Knochenmark (colony forming units, CFUE und burst forming units, BFUE). Der Nettoeffekt ist eine Erhöhung der Erythrozytenproduktionsrate, sodass sich mit der Zeit eine Erhöhung des Hämatokrits, oder, anders ausgedrückt, eine Erhöhung der Sauerstofftransportkapazität des Blutes ergibt. Dadurch normalisiert sich der PO2 im Nierenmark, sodass die Prolylhydroxylase wieder normal funktioniert. HIF‑1 wird wieder abgebaut und der negative Rückkoppelungskreis ist geschlossen.

Tubulointerstitielle Erkrankungen hindern das Nierenmark daran, Erythropoetin zu produzieren. Daher gehen chronische Nierenerkrankungen in der Regel mit Anämie einher. Früher benötigten Dialysepatienten regelmäßige Bluttransfusionen, die jedoch auf die Dauer Eisenüberladung, Infektionen und Transfusionskomplikationen mit sich brachten.

Es war daher ein großer Fortschritt, als 1989 die FDA (Food and Drug Administration) gentechnisch hergestelltes (rekombinantes) EPO zuließ, entwickelt von der damals kleinen Firma Amgen mit späterer Hilfe von Johnson&Johnson. EPO ist ein 30 kDa-Glykoprotein aus 165 Aminosäuren, mit drei N-Glykosylierungen und einer O‑Glykosylierung. Diese vier Kohlenhydratketten variabler Struktur machen etwa 40% der Molekülmasse aus.

Um rekombinantes EPO zur Marktreife zu bringen, war Amgen eine vertraglich geregelte Zusammenarbeit mit Johnson & Johnson eingegangen, die den US-Dialysemarkt für Amgen reservierte, andere Indikationen und geographische Gebiete jedoch für Johnson & Johnson. EPO wurde wirtschaftlich weltweit ein gigantischer Erfolg, da nicht nur die Zahl der Dialysepatienten kontinuierlich stieg, sondern EPO auch bei Krebspatienten eingesetzt wurde, um die Zeit der therapiebedingten Anämie möglichst kurz zu halten.

Es dauerte nicht lange, bis EPO im professionellen Ausdauersport wie Radrennfahren oder Skilanglauf als Doping verwendet wurde, da es eine nicht nachweisbare Möglichkeit darstellte, die Sauerstofftransportkapazität zu erhöhen. Mit der Zeit beobachteten aufmerksame Forscher jedoch, dass sich das rekombinante EPO vom endogenen geringfügig in der Zahl der endständigen Sialinsäureeinheiten (=N-Acetylneuraminsäure, NANA) unterscheidet. Damit konnte EPO-Doping durch isoelektrische Fokussierung der EPO-Varianten aus dem Urin der Athleten nachgewiesen werden. Nachträgliche Analyse alter Urindopingproben ergab, dass sich zahlreiche Athleten das Wundermittel gegeben hatten.

Mit der Zeit entwickelte Amgen ein Molekül, das die Firma novel erythropoiesis stimulating protein oder NESP nannte. Es unterschied sich von EPO dadurch, dass es zwei zusätzliche N-Glykosylierungen enthielt. Zu diesem Zweck mussten fünf Aminosäuren ersetzt werden. Erstaunlicherweise löst diese relativ große Veränderung keine häufigere Antikörperbildung aus. Die zusätzliche Glykosylierung verlängert die Plasmahalbwertszeit, sodass weniger oft gespritzt werden muss. Es entstand eine Auseinandersetzung zwischen Johnson & Johnson und Amgen, ob sich die ursprüngliche vertragliche Aufteilung auch auf das weiterentwickelte Molekül beziehen würde. Die Frage wurde in einem Schiedsverfahren zugunsten von Amgen entschieden, das von da an in der Lage war, sein Produkt unter der generischen Bezeichnung Darbepoetin α auch in Europa zu verkaufen.

In der Spitze, im Jahr 2006, betrugen die weltweiten Umsätze mit den verschiedenen Erythropoetinformen mehr als US$10 Milliarden. Dann ergaben Studien, dass es nicht sinnvoll ist, die Hämoglobinkonzentration bei den betroffenen Patienten bis auf Normalwerte bei Gesunden anzuheben. Im Gegenteil, es ergaben sich Nachteile durch Thrombosen und Bluthochdruck. In den Jahren 2007 und 2008 wurde durch FDA und EMA ein Hämoglobin-Zielbereich von 10-12 g/dl festgesetzt, wodurch die Umsätze in den folgenden Jahren zurückgingen. Das obere Limit wurde inzwischen weiter, auf 11 g/dl, herabgesetzt. Da die Patente abgelaufen sind und der Markt trotzdem noch attraktiv bleibt, sind in Europa inzwischen eine Reihe von Biosimilars erhältlich.

 

 

13. CHRONISCHES NIERENVERSAGEN

 

Setzen wir, nachdem wir diese vielen renalen Funktionen studiert haben, das Bild einer Person zusammen, deren Nieren über eine längere Zeit nicht ausreichend funktionieren, z. B. bei terminaler Niereninsuffizienz (end-stage renal disease, ESRD). Wir erwarten Symptome in folgende Richtungen:

Urämie ist das Wort, das wir für die kombinierten toxischen Effekte all jener Substanzen verwenden, die normalerweise über die Niere ausgeschieden werden. Eine dieser Substanzen ist Ammonium, NH4+. Abgesehen davon, messen wir Harnstoff (BUN, blood urea nitrogen) und Kreatinin im Blut, doch sind diese beiden bei den auftretenden Konzentrationen nicht toxisch. Leider wissen wir, obwohl es wichtig wäre, sehr wenig darüber, welche weiteren Toxine für die auftretenden Symptome verantwortlich sind. Als komplexe Form der Vergiftung beeinträchtigt Urämie viele Systeme. Eines der ersten ist das Zentralnervensystem: das führt zu Symptomen wie Schwäche, Abgeschlagenheit, Gedächtnis- und Konzentrationsschwäche, Verwirrung, Appetitlosigkeit, Benommenheit am Tag, Rastlosigkeit in der Nacht. Ohne Intervention schreitet das Krankheitsbild zu Stupor, Koma und Tod fort. Das periphere Nervensystem ist mit Polyneuropathie, das gastrointestinale System mit Übelkeit und Erbrechen, das Herz mit Pericarditis betroffen.

Na+- und Wasserretention mit Ödemen und Bluthochdruck, besonders bei der in den westlichen Industriestaaten typischen Ernährung. Flüssigkeitsretention kann durch Na+-arme Kost gemildert werden. Grundsätzlich ist bei sehr niedriger Na+- in Verbindung mit normaler Wasseraufnahme auch Hyponatriämie möglich.

Azidose, wie erwähnt, beim relativ hohen Proteingehalt unserer üblichen Ernährung.

Hyperkaliämie, die zu Muskelschwäche, Herzrhythmusstörungen und Herzinsuffizienz beitragen kann.

Hyperphosphatämie, die zu Juckreiz führt und zu Knochen- und Gefäßschäden beiträgt.

Hypokalzämie, verbunden mit Muskelschwäche, Krämpfen, sekundärem Hyperparathyroidismus und CKD-MBD (chronic kidney disease- mineral and bone disorder).

Anämie, mit massiver Schwäche und verstärkter Herzbelastung.

 

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QUELLEN UND WEITERFÜHRENDE LITERATUR:

Schwarz et al. (Hrsg.): Pathophysiologie, Maudrich, Wien, 2007

Siegenthaler W. und Blum H. E.(Hrsg.):
Klinische Pathophysiologie, 9. Auflage, Thieme, Stuttgart, 2006

Höfler G. et al. (Hrsg.): Pathologie, 6. Auflage, Urban und Fischer, 2019

auf Englisch:

Kumar V. et al. (eds.): Robbins and Cotran Pathologic Basis of Disease, 10th Edition, Elsevier, 2020

Boron W. F. and Boulpaep E. L. (eds.): Medical Physiology, 3rd Edition, Elsevier, Philadelphia, 2016

H. G. Rennke & B. M. Denker: Renal Pathophysiology, 5th Edition, Lippincott 2019

K. S. Kamel & M. L. Halperin: Fluid, Electrolyte and Acid-Base Physiology, 5th Ed., Elsevier, 2017

Abelow, B.: The Painless Guide to Mastering Clinical Acid-Base, 2016