Arno Helmberg's HOMEPAGE

SKRIPTEN:

-Immunologie
-Herz-Kreislauf
-Pathophysiologie der Niere
-Ernährung & Verdauung
-Leberfunktionsstörungen
-Krebsentstehung
-Muskelfunktionsstörungen
-Gicht








INHALT:

1. Knochen-Auf-/Abbau
- Osteoblasten
--- Kollagen Typ I
--- Osteocalcin
--- Osteonectin
- Osteoklasten

2. Regulation des Knochen-Stoffwechsels
2.1 Calcium & Phosphat:
2.1.1 Ca2+, Hydroxylapatit
- Calcitonin
2.1.2  Parathormon
-RANKL, RANK, OPG
2.1.3 Vitamin D
2.1.4 FGF23
2.2  GH und IGF-1
2.3 Schilddrüsenhormon
2.4  Östrogene, Androgene
2.5  Glucocorticoide
2.6  Mechan. Belastung
2.7  Ernährung: Leptin

3. Krankheiten
3.1 Osteoporose
- Diagnostik:
---Knochendichte: DXA
---Biochemische Marker
- Therapeutische Optionen:
---Östrogen-Ersatz?
---Raloxifen
---Bisphosphonate
---Denosumab
---PTH-Analoga
---Vitamin D
---Bewegung & Licht
3.2 Rachitis, Osteomalazie
3.3 Knochen bei Arthritis
3.4 Morbus Paget
3.5 Knochenmetastasen

 

 

 

 

KNOCHEN-STOFFWECHSEL

Arno Helmberg 

Dieses Skript ist eine Lern- und Überblickshilfe zu meiner Vorlesung im Modul "Bewegungsapparat" an der Medizinischen Universität Innsbruck. Ich möchte alle Studierenden ermutigen, sich eine gute Basis an medizinischem Englisch zu erarbeiten und stelle das Skriptum daher auch in einer Englischen Version zur Verfügung. Zum Ausdruck eignet sich die pdf-Version.

Version 1.7                 ©Arno Helmberg 2009-2020


1.  KNOCHENAUF- UND –ABBAU

Lebender Knochen wird dauernd umgebaut. Unsere Knochen befinden sich immer nahe einem Gleichgewicht zwischen Aufbau und Abbau. In Kindheit und Jugend überwiegt geringfügig der Aufbau bis zum Erreichen der maximalen Knochenmasse zwischen zwanzig und dreißig, danach der Abbau. Der dauernde Umbau hat zwei Gründe. Einerseits ermöglicht er eine ständige Anpassung an sich ändernde Belastungen. Als Beispiel dient die erstaunliche Leichtigkeit, mit der Kieferorthopäden durch ständigen leichten Druck Zähne im Kiefer verschieben. Andererseits ist ständiger Umbau notwendig für die Reparatur kleiner Risse durch dauernd auftretende Mikrotraumen. In einer typischen mikroskopischen Knochenbaustelle (basic multicellular unit) wird Knochengewebe in ca. 3 Wochen durch spezialisierte Zellen, sogenannte Osteoklasten, abgetragen. Anschließend wird diese Resorptionslakune in etwa 3 Monaten durch Osteoblasten mit neuem Knochengewebe ausgefüllt. Knochengewebe gibt es in zwei Formen: als substantia compacta und substantia spongiosa. Knochen spart, so viel wie möglich, Gewicht. Nur die äußere Schicht, die Compacta, ist massiv; bei den langen Knochen in Form einer Röhre. Im Inneren befindet sich die Spongiosa, ein dreidimensionales Pfeilergerüst aus Trabekeln, das dauernd umgebaut und an die wechselnden Belastungen angeglichen wird, z. B. in den Wirbelkörpern oder an den Enden der Röhrenknochen.

Die Grundeinheit des kompakten Knochengewebes ist das Osteon oder Havers-System. Es besteht aus einem zentralen Gefäßkanal mit konzentrisch darum angeordneten massiven Lamellen aus mineralisierten Fasern. Die Fasern der Knochengrundsubstanz sind in aufeinanderfolgenden Lamellen abwechseln rechtsspiralig und linksspiralig angeordnet, was zusätzliche Stabilität verleiht. Zwischen den Lamellen sitzen vereinzelt Knochenzellen, Osteozyten.

Für den Knochenstoffwechsel sind eigentlich nur zwei Zelltypen verantwortlich: Osteoblasten und Osteoklasten. Osteozyten stellen nichts anderes dar als Osteoblasten, die sich selbst eingemauert haben. Osteozyten bleiben durch lange Zellfortsätze miteinander verbunden und bilden so ein Netzwerk, durch das sie mittels gap junctions Ionen weiterreichen können. Osteozyten können mechanische Belastungen rezipieren und leiten auf diese Weise entsprechende Signale zu den Knochen-Bautrupps weiter.

Osteoblasten differenzieren aus Knochenmark-Stromazellen. Sie produzieren die organische Knochengrundsubstanz, die in ihrer noch nicht mineralisierten Form als Osteoid bezeichnet wird. Im Folgenden drei funktionell wichtige Proteine aus einer wesentlich größeren Zahl an Molekülen:

  1. Kollagen Typ I macht den Großteil dieser Proteinmatrix aus. Es besteht aus zwei α1‑Ketten und einer α2‑Kette, die posttranslational auf Lysinen und Prolinen hydroxyliert werden und noch im endoplasmatischen Retikulum des Osteoblasten eine Prokollagen-Tripelhelix bilden. Diese Prokollagen-Monomere werden sezerniert. Extrazellulär werden die N- und C-terminalen Prokollagen-Peptide abgespalten, worauf sich viele Tripelhelix-Monomere spontan zu langen Fibrillen zusammenlagern, die über die hydroxylierten Lysine kovalent quervernetzt werden. Als Coenzym für die Hydroxylierung von Lysinen und Prolinen wird Vitamin C benötigt; ein Mangel an Vitamin C führt durch Instabilität des schlecht quervernetzten Kollagens zu Skorbut.
  2. Osteocalcin ist ein kleines Protein, das mit Hilfe von Vitamin K auf Glutaminsäureresten carboxyliert wird. Glutaminsäure enthält ja bereits eine COO‑Gruppe als Ende der Seitenkette; durch die Carboxylierung auf dem γ-C-Atom kommt nun noch eine zweite hinzu. Die beiden negativen Ladungen der benachbarten COO–Gruppen sind ein idealer Anlagerungsplatz für das doppelt positiv geladene Ca2+-Ion. Osteocalcin bindet Hydroxylapatit Ca5(PO4)3(OH), ist jedoch keine Voraussetzung für dessen Bildung: Osteocalcin-Null-Mäuse zeigen sogar verstärkte Knochenmineralisierung. Der Hydroxylapatit-Kristallisation, die gewährleistet, dass das schwer lösliche Ca-Phosphat im Knochen und nicht an anderen Stellen im Körper ausfällt, müssen daher andere Osteoblastenprodukte zu Grunde liegen. Doch ist die Bruchfestigkeit des Knochens bei diesen Mäusen stark herabgesetzt; offenbar limitiert Osteocalcin die Ausbreitung von Rissen durch Dehnung und Ableitung mechanischer Energie. Osteocalcin fungiert also wahrscheinlich als Stoßdämpfer und Federung zwischen organischen und anorganischen Matrixanteilen. Vitamin K wird auch benötigt, um die Gerinnungsfaktoren II, VII, IX, X mit Ca2+-Bindungsstellen auszustatten; ein Mangel an Vitamin K führt daher als erstes zu Gerinnungsstörungen. Ein zweites Vitamin ist wichtig für Osteocalcin: seine Transkription wird durch den aktivierten Vitamin D-Rezeptor stimuliert. In einer zweiten Funktion wirkt uncarboxyliertes Osteocalcin als metabolisches Hormon, das die Insulinwirkung verstärkt. Über einen G-Protein-gekoppelten Rezeptor fördert es die Proliferation von β-Zellen in Pankreasinseln und steigert ihre Insulinausschüttung. Ebenso fördert es die Ausschüttung von Adiponektin aus Fettzellen, das deren Insulin-Sensitivität steigert. Der Knochenstoffwechsel hat damit einen Einfluss auf den Energiestoffwechsel.
  3. Osteonectin ist ein weiterer Osteoidbestandteil, der sowohl Hydroxylapatit als auch Kollagen bindet und damit ebenfalls zur Verbindung von organischen und anorganischen Anteilen der Matrix beiträgt.

Zusätzlich nehmen Osteoblasten Ca2+ und Phosphat auf und sezernieren diese gezielt, sodass lokal eine Übersättigung eintritt und durch Ausfallen die neugebildete Grundsubstanz mineralisiert wird. Eine noch nicht ausreichend verstandene Rolle bei diesem Prozess spielt die an der Außenseite der Osteoblasten-Zellmembran lokalisierte alkalische Phosphatase, die Phosphat-Ionen möglicherweise durch Abspaltung von phosphorylierten organischen Molekülen und durch Spaltung von Pyrophosphat zur Verfügung stellt.

Man könnte die Statik von Knochen mit der des Stahlbetons vergleichen. Hydroxylapatit ist druckbeständig, während die eingebauten Kollagenfasern die auftretenden Zugkräfte abfangen. Dieses Bild hilft zu verstehen, warum Knochenabbau und Knochenaufbau eine untrennbare funktionelle Einheit darstellen. Durch die mechanische Belastung treten im Knochen dauernd Mikrorisse auf. Dort sind die Kollagen-("Stahl-")-Fasern gerissen. Eine Reparatur kann an dieser Stelle nur erfolgen, wenn eine größere Resorptionslakune gemacht wird, sodass neue, intakte Fasern mit ausreichender Verankerung diesseits und jenseits des ursprünglichen Risses eingebaut ("einbetoniert") werden können. Ein reines Mineralisieren ("Vergipsen") des Risses würde die ursprüngliche Belastbarkeit nicht wiederherstellen. Analog gibt es seltene genetische Erkrankungen, bei denen durch einen Defekt im Knochenabbau-Mechanismus zwar sehr dichter, aber trotzdem fragiler (leicht brechender) Knochen entsteht, da er durch zahlreiche unzulänglich reparierte ("vergipste") Mikrorisse durchzogen ist (Osteopetrose oder Marmorknochenkrankheit).

Wenn Osteoblasten sich selbst vollkommen eingemauert haben, ändern sie ihr Expressionsmuster und werden Osteozyten. Osteozyten sezernieren Sclerostin, das auch Osteoblasten in der unmittelbaren Umgebung daran hindert, weiter Knochensubstanz zu bilden, indem es deren LRP5/6-Rezeptor und damit den Wnt-Signalweg blockiert. Sclerostin fördert also die "Sklerose", die Erstarrung des Knochens. Faktoren, die Knochenumbau fördern, wie mechanische Belastung, Parathormon und Prostaglandin E hemmen die Sclerostinproduktion.

Pharmakologische Querverstrebung: Romosozumab ist ein monoklonaler Antikörper, der Sclerostin bindet und inaktiviert. In der Entwicklungsphase zeigte er gute Wirksamkeit gegen osteoporotische Frakturen, allerdings gab es im Vergleich zu Kontrollen mehr unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse. Romosozumab wurde 2019 unter Auflagen zugelassen.

Osteoklasten sind große, mehrkernige Zellen, die im Knochenmark aus hämatopoetischen Vorläuferzellen entstehen. Die Entwicklungsreihe ist dieselbe, die zur Entstehung von Makrophagen und neutrophilen Granulozyten führt. Eine Reihe von Zytokinen kann die Differenzierung dieser Vorläuferzellen zu Osteoklasten auslösen. Das einfachste Signalmuster besteht aus M-CSF (macrophage colony stimulating factor) und RANKL (erklärt im Abschnitt Parathormon), die beide von Osteoblasten gebildet werden. Doch auch Zytokine, die im Rahmen von Entzündungen vor allem von Makrophagen gebildet werden, verstärken die Osteoklastendifferenzierung: IL‑1, IL‑6, TNFα und Prostaglandin E. Der Knochenabbau erfolgt wie ein lysosomaler Abbau durch Ansäuerung und Aktivierung von Hydrolasen, nur eben extrazellulär. Osteoklasten schließen wie eine Saugglocke einen bestimmten Bereich mineralisierter Knochenoberfläche ab und säuern ihn durch eine Protonenpumpe an. Zum intrazellulären Säure-Basen-Ausgleich transportieren sie HCO3 an ihre Rückseite. Die Ansäuerung führt zur Auflösung der Hydroxylapatit-Kristalle und löst damit Ca2+ aus dem Knochen. Eine konzertierte Steigerung der Osteoklasten-Aktivität steigert daher die extrazelluläre Ca2+–Konzentration. Proteasen mit einem pH-Optimum im sauren Bereich wie Kathepsin K bauen die freigeschmolzene Proteinmatrix ab.

Längenwachstum der Röhrenknochen ist nicht im eigentlichen Knochen möglich, sondern erfolgt im Knorpel der Epiphysenfuge. Es lassen sich drei Zonen von Chondrozyten unterschiedlicher Differenzierung beobachten. In allen drei Zonen sezernieren die Chondrozyten Proteine und Proteoglykane, welche die extrazelluläre Knorpelmatrix zusammensetzen, wie Kollagen und Aggrecan. Nahe der Epiphyse befindet sich die Reservezone mit Chondrozyten, die als Vorläuferzellen fungieren. Als nächstes kommt die Proliferationszone, in der die räumliche Orientierung der Zellteilung lange Chondrozytensäulen parallel der Längsachse des Knochens entstehen lässt. Diese Zellen produzieren das für hyalinen Knorpel typische Kollagen Typ II. Zur Metaphyse hin folgt die hypertrophe Zone, in der die Chondrozyten terminal differenzieren, an Volumen zunehmen und Kollagen Typ X und VEGF (vascular endothelial growth factor) sezernieren. An der Grenzzone sterben die hypertrophen Chondrozyten ab. Das sezernierte VEGF führt zum Einsprossen von Gefäßen. Der bestehende Knorpel wird zunächst mineralisiert (chondrale Ossifikation), jedoch bald sekundär durch einwandernde Osteoklasten und Osteoblasten zu lamellärem Knochen umgebaut. Auf diese Weise führt Knorpelwachstum in der Epiphysenfuge zum Längenwachstum des Knochens. Dieser Prozess wird komplex reguliert. Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) haben etwa 200 Genloci ergeben, die die Körpergröße des Menschen beeinflussen. Die Proliferation der Chondrozyten wird sowohl durch eine große Zahl an parakrin wirkenden Faktoren, z. B. einen Gradienten von BMPs (bone morphogenetic proteins) oder C-type natriuretic factor, als auch durch viele endokrine Faktoren, wie Wachstumshormon, IGF‑1, Geschlechtshormone und Leptin, beeinflusst. Die endokrinen Faktoren stellen sicher, dass rasches Wachstum nur dann erfolgt, wenn ausreichend Nahrung zur Verfügung steht.

Ein zweiter Knochenentstehungsmechanismus, desmale Ossifikation, ist die direkte Umwandlung von Bindegewebe zu Knochen. So entstehen große Teile des Schädels; auch die Heilung von Knochenbrüchen erfolgt auf diesem Weg.

 

2.  REGULATION DES KNOCHENSTOFFWECHSELS

2.1  Calcium- und Phosphat-Haushalt

Mit dem Calcium- und Phosphat-Haushalt haben wir uns bereits einmal, in Zusammenhang mit der Niere, befasst. Nun betrachten wir ihn hinsichtlich seiner Wechselwirkung mit unseren Knochen.

2.1.1  Lösliches Ca2+, Hydroxylapatit und Calcitonin

Calcium (Ca2+) ist im Körper in riesigen Mengen enthalten, da es ein Hauptbestandteil unserer Knochen ist. Andererseits feinregulieren wir die relativ niedrige extrazelluläre Ca2+-Konzentration zur Steuerung außerordentlich heikler Funktionen, ganz zu schweigen von der Bedeutung der noch einmal weit niedrigeren intrazellulären Konzentrationen. Der Grund dafür, dass beides gleichzeitig möglich ist, liegt in dem niedrigen Löslichkeitsprodukt von Ca2+ und Phosphat (PO43-): hat man eines der beiden Ionen in Lösung und gibt das Zweite hinzu, fällt der Großteil als Calciumphosphat aus.

Im Knochen finden wir die beiden Ionen gemeinsam mit einem Hydroxyl-Ion (OH-) in der Form des sehr harten Minerals Hydroxylapatit Ca5(PO4)3(OH), das hexagonale Kristalle bildet. Hydroxylapatit macht bis zu 70% des Knochengewichts aus; Zahnschmelz besteht fast ausschließlich aus dem außerordentlich harten Mineral, das der Zahnoberfläche ihre mechanische Widerstandsfähigkeit verleiht. Das hat einen Nachteil: Hydroxylapatit ist, wie erwähnt, empfindlich gegen Säuren. Über denselben Mechanismus, mit dem Osteoklasten Hydroxylapatit abbauen, wird Zahnschmelz durch Säure im Mund angegriffen. Beißt man in eine Orange, oder setzen Bakterien im Zahnbelag Zucker zu Milchsäure um, reißt ein Proton H+ das OH- heraus, um ein Wassermolekül H2O zu bilden, und der Rest zerfällt in 5 Ca2+ und 3 PO43- Ionen: das Hydroxylapatit löst sich auf. Im Endeffekt entsteht durch diesen Prozess Karies. Wesentlich weniger löslich in saurem Milieu ist das Molekül, wenn das OH- Ion durch ein Fluoridion F- ersetzt wird: Fluorapatit Ca5(PO4)3F. Fluorapatit entsteht spontan, wenn genügend Fluoridionen vorhanden sind, was durch Fluoridzusatz in Zahnpasta, Salz oder, in manchen Ländern, in Trinkwasser erreicht werden kann.

Die Konzentration von Ca2+ im Blutplasma wird im schmalen Band von 2.2 bis 2.7 mM reguliert. Dieses gemessene Ca2+ stellt die Summe dreier Formen dar: an Protein, hauptsächlich Albumin, gebundenes (ca. 45%), mit kleinen organischen Anionen komplexiertes (ca. 10 %) und freies ionisiertes Ca2+ (ca. 45%). Das Gesamt- Ca2+ ist daher von der Plasmaprotein-Konzentration abhängig. Die relevante, regulierte Größe ist das freie Ca2+.

Die Regulation des Ca2+-Haushaltes wird im Wesentlichen durch zwei Hormone bewerkstelligt: Parathormon und Calcitriol (1,25-Dihydroxy-Vitamin D). Dabei besorgt Parathormon die Kurzzeit-Regulation der Konzentration von freiem Ca2+ zu Lasten des Knochenspeichers. Vitamin D sorgt strategisch für die Aufrechterhaltung des Gesamt- Ca2+-Speichers des Körpers. Ein drittes Hormon, Fibroblast Growth Factor 23 (FGF23), reguliert die Phosphatausscheidung über die Niere und beeinflusst so den Ca2+-Haushalt.

Ein viertes Ca2+-regulierendes Hormon, Calcitonin, hat beim Menschen nur eine geringe Bedeutung. Es wird in der Schilddrüse von den parafollikulären C-Zellen sezerniert und senkt kurzfristig den Ca2+-Spiegel, doch schwingt das System rasch in eine neutrale Position zurück. Weder der Ausfall der Calcitonin-produzierenden C-Zellen (z. B. nach einer Schilddrüsenoperation) noch eine längere Calcitonin-Therapie stören eine korrekte Regulation des Ca2+-Haushaltes. Calcitonin ist wahrscheinlich ein evolutionäres Überbleibsel. Tiere, deren Lebensumstände starke Schwankungen in der Ca2+-Aufnahme mit sich bringen, wie z. B. der zwischen Süßwasser und dem sehr kalziumreichen Meer wechselnde Lachs, sind stark auf Calcitonin-Wirkung angewiesen.

Pharmakologische Querverstrebung: Lachs-Calcitonin wird zur Behandlung von Patienten verwendet, obwohl es heute gentechnisch oder synthetisch hergestellt wird. Warum nicht die humane Version? Lachs-Calcitonin ist ungefähr zehnmal so effektiv, sodass nur ein Zehntel soviel Moleküle gespritzt werden müssen. Obwohl es sich in 14 der 32 Positionen vom menschlichen Peptid unterscheidet, treten immunologische Komplikationen erstaunlich selten auf. Auf Grund seiner geringen Größe kann Calcitonin auch als Nasenspray eingesetzt werden. Calcitonin wird bei akuter Hyperkalzämie verwendet, um den Ca2+-Spiegel rasch zu senken. Zusätzlich wird es bei Erkrankungen mit hoher Knochenresorption eingesetzt, um die Osteoklastenaktivität intermittierend zu bremsen, z. B. bei Osteoporose, Mb. Paget und Knochenmetastasen, was sich manchmal auch schmerzlindernd auswirkt.

 

2.1.2  Parathormon

Parathormon (PTH) ist nach seiner Produktionsstätte benannt, den vier winzigen Epithelkörperchen der Nebenschilddrüsen (Glandulae parathyroideae). Steigt die Konzentration des freien ionisierten Ca2+, wird der membranständige Calcium-sensitive Rezeptor (calcium-sensing receptor, CaSR) der Hauptzellen der Epithelkörperchen aktiviert; diese verringern darauf die Sekretion von Parathormon. Auch eine hohe Konzentration von 1,25-Dihydroxy-Vitamin D senkt die Sekretion von Parathormon. Die Botschaft des erhöhten Calcitriol ist also: "Hört auf, unseren Knochen anzuknabbern, ich schaffe gleich mehr Ca2+ von außen herein!" PTH besteht aus 84 Aminosäuren und hat eine sehr kurze Halbwertszeit von etwa vier Minuten. PTH steigert die Ca2+-Konzentration auf zwei Wegen: durch Freisetzung aus dem Knochen und durch Beeinflussung der Niere.

Der Nettoeffekt im Knochen ist eine Verstärkung des Knochenabbaus durch Osteoklasten. Dieser Effekt wird auf indirektem Weg erreicht; Osteoklasten exprimieren keinen PTH-Rezeptor. PTH wird durch Osteoblasten erkannt, die mit einer Freisetzung von IL-1, IL-6 und anderen Zytokinen die Osteoklasten zu verstärkter Aktivität anregen. Außerdem produzieren die Osteoblasten Signalmoleküle, die die Neubildung von Osteoklasten anregen:  M-CSF (Macrophage Colony-Stimulating Factor) und RANKL.

RANK-Ligand (RANKL) ist ein Molekül aus der TNF-Superfamilie. Es tritt als Trimer auf; teils als Transmembranprotein auf der Zelloberfläche der Osteoblasten, teils "abgeschnitten" als lösliches Signalmolekül. M-CSF und RANKL treffen im Knochenmark auf hämatopoetische Vorläuferzellen der Makrophagen- und neutrophile Granulozyten-Entwicklungslinie. Diese exprimieren den Transmembranrezeptor RANK (receptor-activator of  NFκB), ein Transmembranprotein der TNF-Rezeptor-Superfamilie. Wird Vorläuferzell-RANK durch Osteoblasten-RANKL trimerisiert, differenzieren die Vorläuferzellen zunächst zu einkernigen und verschmelzen dann zu vielkernigen Osteoklasten. Osteoblasten produzieren ein zweites Molekül, Osteoprotegerin (OPG), das aussieht wie ein löslicher Rezeptor für RANKL. Man nennt das einen decoy receptor (Täusch-Rezeptor), der das eigene RANKL neutralisiert und damit unwirksam macht. Inwieweit Osteoblasten die Bildung von Osteoklasten induzieren, hängt also vom Verhältnis RANKL zu OPG ab, das sie in verschiedenen physiologischen Situationen produzieren. PTH induziert die Bildung von RANKL und hemmt die Expression von OPG, und beschleunigt damit die Neubildung von Osteoklasten.

Es hätte wenig Sinn, würde Parathormon nur die Konzentration von Ca2+ steigern: durch das geringe Löslichkeitsprodukt mit Phosphat würde es gleich wieder ausfallen. PTH senkt daher gleichzeitig den Phosphatspiegel durch Hemmung der Phosphatrückresorption in der Niere im proximalen und distalen Tubulus. Das geschieht durch Entfernung des Na-Phosphat-Cotransporters aus der luminalen Membran in darunterliegende Vesikel. Gleichzeitig steigert PTH die Ca2+-Rückresorption im distalen Tubulus, sodass auch die geringen Mengen, die normalerweise ausgeschieden werden, im Körper zurückgehalten werden. Die dritte PTH-Funktion in der Niere kurbelt die letzte Hydroxylierung an, die notwendig ist, um Vitamin D zu aktivieren: die Hydroxylierung des C-Atoms 1. Damit wird die Wiederauffüllung das Ca2+-Pools eingeleitet.

Pharmakologische Querverstrebung: Cinacalcet (Mimpara®, Sensipar®) ist ein kleines Molekül, das "außen" an den Calcium-sensitiven Rezeptor bindet und diesen so allosterisch empfindlicher für freies Ca2+ macht (also weniger PTH-Ausschüttung bei niedriger Ca2+-Konzentration bewirkt). Seine Hauptanwendung ist die Behandlung des sekundären Hyperparathyreoidismus bei Patienten mit chronischem Nierenversagen auf Dialyse. Geschädigte Nieren scheiden zu wenig Phosphat aus und aktivieren zu wenig Vitamin D. Dadurch ergibt sich im Plasma eine hohe Phosphat- und eine niedrige Ca2+-Konzentration, ein Ungleichgewicht, das via PTH auf dem Rücken der Knochensubstanz ausgetragen wird.

 

2.1.3  Vitamin D

Vitamin D ist eigentlich ein Hormon, das in der Haut selbst gebildet wird. Dazu ist Sonnenlicht nötig, da Vitamin D aus 7-Dehydrocholesterol durch Aufbrechen des zweiten Rings des Cholesterol-Grundgerüsts nur bei ausreichender UV B-Exposition entsteht. Dieser Licht-abhängige Vorgang ist die wahrscheinliche Ursache dafür, dass Kaukasier einen blassen Teint haben. Bis zur Auswanderung aus Afrika vor etwa 60.0000 Jahren waren vermutlich alle modernen Menschen dunkelhäutig. Je weiter nördlich sich die Menschen ansiedelten, desto geringer wurde ihre Sonnenexposition und jene mit blasserer Haut hatten einen Selektionsvorteil, da sie noch genügend Vitamin D herstellen konnten.

(Der Selektionsvorteil hellhäutiger Individuen in den nördlichen Regionen ergab sich wahrscheinlich nicht nur aus der Knochenstabilität. UV B-generiertes Vitamin D spielt auch eine Rolle bei der Infektabwehr. Erniedrigte Vitamin D-Spiegel korrelieren mit Anfälligkeit gegenüber Infekten des Respirationstrakts während der Wintermonate, wenn auch die Mechanismen noch nicht vollständig aufgeklärt sind. Wahrscheinlich ist Vitamin D für die Funktion der Makrophagen wichtig; diese können Vitamin D durch Expression des Enzyms 1α‑Hydroxylase, das sonst nur in der Niere exprimiert wird, sogar selbst aktivieren. Auf Vitamin D-Stimulation synthetisieren Makrophagen verstärkt das antibakteriell wirkende Peptid Cathelicidin. Aufgrund empirischer Erfahrungen  wurden Patienten der in den Bergen gebauten Tuberkulosekliniken des 19. und frühen 20. Jahrhunderts auch in der kühlen Jahreszeit täglich in die Sonne gesetzt, was bei der Höhe eine stärkere UV-Bestrahlung bedeutete.

Die Fähigkeit von Makrophagen, Vitamin D zu aktivieren, ist von besonderer Bedeutung bei Sarkoidose, die häufig mit einer durch diesen Mechanismus ausgelösten Hyperkalzämie einhergeht. In den Makrophagen erfolgt die Expression der 1α-Hydroxylase nicht unter Kontrolle von PTH. Auch für andere granulomatöse Erkrankungen, wie Tuberkulose oder Lepra, wurden gelegentlich Hyperkalzämien beschrieben.)

Ethnien, die sich vorwiegend vom Meer ernährten, wie die Inuit, führten genügend Vitamin D mit der Nahrung zu und konnten daher stärker pigmentiert bleiben. Das fettlösliche Vitamin D3 kann also genauso aus tierischer Nahrung (besonders reichlich z. B. aus Fettfischen wie Dorsch –Lebertran!-, Makrele, Lachs) aufgenommen werden. Dass Mangel an Sonnenlicht in Zusammenhang mit Rachitis steht, erkannte man erst im späten 19. Jahrhundert.

Die Alternative zur UV-Herstellung oder Aufnahme der Vorstufe Cholecalciferol (Vitamin D3) ist die Aufnahme eines sehr ähnlichen Moleküls, Ergocalciferol (Vitamin D2) aus Gemüse, doch ist diese quantitativ in der Regel zu gering, um den Bedarf zu decken.

D3 und D2 werden durch zwei Hydroxylierungs-Schritte zum aktiven Calcitriol umgebaut: in der Leber erfolgt die 25-Hydoxylierung am Ende der Seitenkette, in der Niere die 1‑Hydroxylierung am Kohlenstoff-Sechserring. Dieser entscheidende, letzte Schritt erfolgt in der proximalen Tubuluszelle und wird genau reguliert:  PTH fördert die Hydroxylierung, während das Endprodukt Calcitriol sowie FGF23 und/oder Phosphat die Hydroxylierung hemmen. 1,25-Dihydroxy-Cholecalciferol (Calcitriol) verteilt sich im Körper wie ein Hormon und bindet an den Vitamin-D-Rezeptor, der der Superfamilie der nukleären Rezeptoren angehört. Als Ligand-abhängiger Transkriptionsfaktor induziert er unter anderem Gene, die für die Aufrechterhaltung der Ca2+-Speicher wesentlich sind.

Das wesentlichste Zielorgan in dieser Hinsicht ist das Duodenum. Hier werden mehrere Proteine induziert, die im Zusammenspiel die Ca2+-Aufnahme aus der Nahrung fördern. Während die Ca2+-Konzentration im Darmlumen und im Blut im mM-Bereich liegt, ist sie im Zell-Inneren wesentlich niedriger; zu viel freies Ca2+ im Zytosol wäre gefährlich. Es wird also lumenseitig ein Ca2+-Kanal induziert, durch den Ca2+ passiv in die Zelle strömt, im Zell-Inneren das affine Ca2+-bindende Protein Calbindin zur Neutralisation passierenden Calciums und an der Blutseite ein ATP-getriebener Ca2+‑H+-Antiporter sowie ein Na+-getriebener Ca2+‑Na+-Antiporter, die beide Calcium gegen einen steilen Konzentrationsgradienten ins Blut pumpen. Calcitriol fördert im Dünndarm auch die Aufnahme von Phosphat.

In der Niere fördert Calcitriol wie PTH die Rückresorption von Ca2+ im distalen Tubulus, doch ist die Wirkung viel schwächer. Im Gegensatz zu PTH fördert Calcitriol auch die Reabsorption von Phosphat: zur Wiederbefüllung der Knochenspeicher sind ja beide Ionen notwendig.

Die Summe dieser Vitamin D-Wirkungen führt zu einem Überschreiten des Löslichkeitsprodukts, so dass Ca2+ und Phosphat im dafür ideal geeigneten Osteoid ausfällt; zusätzlich fördert Vitamin D-induzierte Transkription des Osteocalcin-Gens die Bruchfestigkeit. Dieser indirekte Effekt überwiegt in Summe den direkten, Rezeptor-mediierten Effekt auf Osteoblasten und Osteoklasten-Vorläufer, der über einen verstärkten Knochenumsatz die Ca2+-Mobilisierung fördern würde.

 

2.1.4. FGF23

FGF23 wird von Osteozyten und Osteoblasten freigesetzt, stimuliert einerseits durch Phosphataufnahme aus der Nahrung, andererseits durch 1,25Dihydroxy-Vitamin D. Es erhöht die renale Phosphatausscheidung, indem es die Zahl der Na-Pi-Cotransporter in der apikalen Membran des proximalen Tubulus vermindert. In dieser Funktion wirkt es ähnlich wie PTH. Gegensätzlich zu PTH wirkt es dagegen, indem es die 1‑Hydroxylierung von Vitamin D hemmt. Diese Senkung von aktivem Vitamin D führt zu einer geringeren Ca2+-Aufnahme über den Darm.

CKD-MBD (chronic kidney disease- mineral and bone disorder): Ein Problem entsteht bei vielen alten Leuten dadurch, dass wir über den Darm das gesamte verfügbare Phosphat aufnehmen, den nicht benötigten Überschuss jedoch FGF23-gesteuert über die Niere ausscheiden. Mit Rückgang der glomerulären Filtrationsrate im Alter steigt FGF23 immer höher an, um einen immer höheren Prozentsatz des filtrierten Phosphats auszuscheiden. Calcitriol wird durch FGF23 niedrig gehalten, die Ca2+-Konzentration im Blut kann nur durch erhöhtes Parathormon aufrechterhalten werden. Dieser sekundäre Hyperparathyreoidismus schädigt auf die Dauer die Knochen.

Phosphatdiabetes (X-linked hypophosphatemia): Das X-chromosomale PHEX-Gen (Phosphate-regulating neutral endopeptidase, X-linked) kodiert eine Peptidase, die FGF23 hemmt. Ein Defekt dieser Peptidase führt zu einer Überaktivität von FGF23 und damit zu Phosphatverlusten über die Niere und zu einem nur unzureichend mit Vitamin D therapierbaren Rachitis-ähnlichen Krankheitsbild bei den betroffenen Kindern. Statt dessen hilft ein Antikörper gegen FGF23, Burosumab.

 

2.2  Wachstumshormon und IGF-1

Growth hormone (GH, Wachstumshormon) ist für das Knochenwachstum essentiell. Es wird von Somatotrophen (Zellen) im Hypophysenvorderlappen unter Kontrolle des Hypothalamus (stimuliert durch GH-releasing hormone –GHRH‑, gebremst durch Somatostatin) pulsatil ausgeschüttet, und zwar nur während des Schlafes und bei physischer Anstrengung (es hat also keinen Sinn, Wachstumshormon am Tag bei einem Kind in Ruhe zu bestimmen). Einige rasch eintretende Wirkungen, die denen des Insulins entgegengesetzt sind, löst Wachstumshormon direkt aus: Lipolyse in Fettgewebe, Gluconeogenese in der Leber sowie eine Hemmung der Glucose-Aufnahme in den Muskel. Die wachstumsfördernde Wirkung auf Knorpel und Knochen erfolgt jedoch indirekt. Die Leber wird durch GH angeregt, Insulin-like growth factor-I (IGF-I) ins Plasma zu sezernieren. Zusätzlich produzieren Chondrozyten und Osteoblasten, wie viele andere Zelltypen, GH-abhängig IGF-I, das jeweils parakrin auf diese und benachbarte Zellen zurückwirkt.

IGF‑1 ist nahe mit Insulin verwandt, mit etwas weniger als 50% identen Aminosäuren. Wie Insulin bindet es an einen heterotetrameren Rezeptor aus zwei extrazellulären α- und zwei transmembran-β‑Ketten mit Tyrosinkinasedomäne. "Gemischtkettige" Insulin/IGF‑1-Rezeptoren kommen vor, die durch beide Hormone aktiviert werden können. IGF‑1 wird durch IGF-bindende Proteine in der organischen Matrix gebunden, vor Proteolyse geschützt und ankonzentriert. Zusammen mit anderen Wachstumsfaktoren wie TGFβ und PDGF (transforming growth factor β und platelet-derived growth factor) wird ein Teil durch Mineralisierung im Knochen eingemauert, sodass ein Wachstumsfaktor-Reservoir entsteht, das erst bei Knochenabbau wieder aktiv wird. (Dies ist wahrscheinlich ein Grund, warum metastasierende Tumorzellen im Knochen häufig einen fruchtbaren Boden finden.) IGF-1 wirkt parakrin auf die Zellen zurück, z. B. regt es Chondrozyten in den Epiphysenfugen sowie Osteoblasten zu vermehrter Zellteilung an. IGF-1 ist direkt abhängig vom pulsatil schwankenden GH, zeigt aber durch diese Pufferungsmechanismen eine viel beständigere Wirkung. Ein Mangel an Wachstumshormon führt, wie auch eine Mangel an IGF-1, zu Zwergwuchs, während eine Überproduktion von Wachstumshormon in der Kindheit zu Riesenwuchs führt.

Pharmakologische Querverstrebung: Wachstumshormon war, nach Insulin, das zweite gentechnisch hergestellte Medikament und wurde 1985 für Genentech zugelassen. Davor wurde Wachstumshormon aus Leichenhypophysen gereinigt. Indikationen sind einerseits Wachstumshormonmangel, andererseits der symptomatische Einsatz bei Turner-Syndrom und Niereninsuffizienz bei Kindern, um die Körpergröße zu steigern. In manchen Ländern kommen Kinderärzte verstärkt unter Druck von Eltern, die Größe gesunder Kinder durch die Gabe von Wachstumshormon zu steigern, da Körpergröße als gesellschaftlicher Vorteil gesehen wird. IGF‑1 wird für Kinder mit Wachstumshormon-Rezeptordefekten angewendet, die sonst zum sogenannten Laron-Zwergwuchs führen.

[Wachstumshormon und IGF‑1 haben mehr Funktionen als nur das Wachstum zu stimulieren. Bovines Wachstumshormon wird in manchen Ländern, z. B. den USA, verwendet, um die Milchleistung von Kühen zu steigern. Dies gelingt nur bei optimal ernährten Tieren, ist also leider keine Hilfe für jene Länder, die es am dringendsten brauchen würden. In der EU einigte man sich nach intensiven Diskussionen, diese Anwendung nicht zuzulassen.]

 

2.3  Schilddrüsenhormon

Wachstumshormon und IGF-I sind notwendig, aber nicht hinreichend für Knochenwachstum und -Erhaltung. Ebenfalls notwendig sind Schilddrüsenhormon sowie, je nach Geschlecht, Östrogene oder Androgene. Wie IGF-I stehen Schilddrüsenhormon und Sexualhormone mittelbar unter Kontrolle des ZNS. Die genauen molekularen Mechanismen der Wirkung dieser Hormone auf Knochen sind unzulänglich beschreibbar. Praktisch alle Zellen des Körpers exprimieren Rezeptoren für Schilddrüsenhormon, und viele Gewebe Östrogen- und Androgen-Rezeptoren. Die drei Rezeptortypen sind verwandt. Alle drei sind Mitglieder der Superfamilie der "Kernrezeptoren" (nuclear receptors), ebenso wie der Vitamin D-Rezeptor und der Glucocorticoid-Rezeptor. Alle Rezeptoren dieser Familie stellen Ligand-aktivierte Transkriptionsfaktoren dar, die eine große Anzahl von Genen graduell regulieren. In Anwesenheit des entsprechenden Hormons werden viele Gene verstärkt exprimiert und noch mehr Gene in ihrer Aktivität gebremst. Welche dieser Gene für Knochen-Wachstum und –Erhaltung relevant sind, ist leider noch unzureichend verstanden.

Während andere Rezeptoren der Kernrezeptor-Superfamilie erst nach Ligandbindung vom  Zytoplasma in den Kern wechseln, sitzen die Schilddrüsenhormonrezeptoren (α und β) von vornherein auf der DNA. Solange der Ligand abwesend ist, hemmen sie häufig die Transkription des entsprechenden Gens. Bindung von Trijodthyronin (T3), und in einem geringeren Ausmaß Thyroxin, macht die Rezeptoren zu aktiven Transkriptionsstimulatoren. Chondrozyten, Knochenmark-Stromazellen, Osteoblasten und Osteoklasten-Vorläufer exprimieren T3-Rezeptoren. Ob T3 auch Effekte in reifen Osteoklasten hat, ist unklar.

Mangel an Schilddrüsenhormon in der Kindheit führt zu Wachstumsretardierung. Doch allzu viel ist auch ungesund: eine Hyperthyreose führt zu einer sekundären Osteoporose.

 

2.4  Östrogene, Progesteron und Androgene

Auch die Bedeutung von Sexualhormonen für den Knochenstoffwechsel wurde durch klinische Beobachtungen klar. Ein Mangel dieser Hormone in verschiedenen Formen des Hypogonadismus führt regelmäßig zur Osteoporose. Östrogen- oder Androgen-Überschuss in der Kindheit führt zunächst zu einer Wachstumsbeschleunigung (wie normalerweise während der Pubertät), dann jedoch zu einem verfrühten Epiphysenschluss und damit im Endeffekt zu einer verminderten Körpergröße. Die postmenopausale Osteoporose wird durch einen Abfall der Östrogenkonzentration eingeleitet.

Beide Geschlechter exprimieren sowohl Östrogen- wie auch Androgenrezeptoren. Während es nur einen Androgenrezeptor gibt, existieren zwei Varianten des DNA-bindenden Östrogenrezeptors, ERα und ERβ. ERα wird hauptsächlich in Ovar, Uterus, und Mamma exprimiert, ERβ darüber hinaus in vielen anderen Geweben, doch werden beide Typen in Knochenzellen exprimiert. Zusätzlich zu diesen klassischen Rezeptoren, die sich zwischen Zellkern und Zytoplasma bewegen, gibt es vollkommen unabhängig davon noch ein Östrogen-bindendes G‑Protein-gekoppeltes Protein in der Membran des endoplasmatischen Reticulums, für das bisher keine Funktion im Knochen bekannt ist. Für die anabole Wirkung der Östrogene auf Knochen wurden zahlreiche verschiedene Mechanismen vorgeschlagen und mit Daten belegt. Auf der Abbauseite hemmen Östrogene die Zahl und Aktivität von Osteoklasten. Diese Wirkung läuft teilweise über das RANK-System. Aktivierte Östrogenrezeptoren greifen nicht direkt am Promotor in die Transkription von RANKL und RANK-Genen ein, doch regulieren Östrogene dieses System mittelbar über viele verschiedene Angriffspunkte. Östrogene steigern z. B. die Produktion von OPG durch Osteoblasten. Sie hemmen die Produktion von M-CSF, IL-1, IL-6 und TNFα. Das Resultat ist eine verringerte Neubildung von Osteoklasten. Über diese und anderen Mechanismen werden auch die Aktivität und die Lebenszeit von Osteoklasten vermindert. In Summe bremsen Östrogene also den Knochenabbau. Es gibt viele Hinweise, dass sie auch aktiv den Knochenaufbau fördern, doch ist man sich über die entsprechenden Mechanismen noch nicht einig.

Progesteron fördert dagegen die Expression von RANKL und die Bildung von Osteoklasten. Die höchsten Konzentrationen von Progesteron werden in der Schwangerschaft erreicht. Das fördert die Freisetzung von Calcium aus den mütterlichen Knochen, um die Mineralisierung der Knochen des Fetus zu erleichtern. Zusätzlich fördert die Progesteron-getriebene RANKL-Expression die Proliferation von Zellen des Mammaepithels, sodass neues Drüsengewebe für die Milchproduktion bereitsteht.

Ähnlich wie für TSH wurde auch für das dem Östradiol übergeordnete Follikel-stimulierende Hormon (FSH) eine direkte Wirkung auf Osteoklasten beschrieben, die der des TSH entgegengesetzt sein soll, die Osteoklastenwirkung also aktiviert. Vor der Menopause ist dieser Effekt durch die anabole Wirkung der Östrogene mehr als aufgewogen; nach der Menopause könnte er aber für die Phase des beschleunigten Abbaus verantwortlich sein.

Bei Männern erfolgt der Abfall von Androgenen in einem späteren Alter, hat aber ebenfalls Osteoporose zur Folge. Wahrscheinlich überlappen die Knochenmasse-fördernden Mechanismen der Androgene weitgehend mit denen der Östrogene. Es gibt allerdings noch eine zweite Möglichkeit: Androgene werden durch das Enzym Aromatase im Fettgewebe auch bei Männern teilweise zu Östrogenen umgebaut. Es wird daher diskutiert, dass der Knochen-protekive Effekt auch bei Männern über Östrogene laufen könnte.

 

2.5  Cortisol und andere Glucocorticoide

Glucocorticoide greifen sowohl auf der Aufbau- als auch auf der Abbau-Seite des Knochenstoffwechsels ein. Glucocorticoide hemmen die Funktion der Osteoblasten, z. b. durch Hemmung der Transkription von Kollagen- und Osteocalcin-Genen (dies geschieht auch in anderen Geweben: in der Haut wird die Hemmung der Kollagenbildung manchmal in der Form von Striae direkt sichtbar). Auch die Überlebenszeit von Osteoblasten wird verkürzt. Auf der Abbau-Seite induzieren Glucocorticoide in Osteoblasten RANKL, und reduzieren gleichzeitig die Expression von OPG. Kombiniert steigern diese beiden Glucocorticoideffekte die Osteoklastenzahl und –Aktivität. Sowohl die Effekte auf der Aufbau- wie auch der Abbauseite fördern damit die Entstehung einer Osteoporose.

 

2.6  Mechanische Belastung

Belastung in Form von körperlicher Aktivität ist wesentlich für den Aufbau der Knochenmasse. Die Knochentrabekel werden dauernd nach den Anforderungen der mechanischen Belastung umgebaut. Inaktivität, z. B. durch Bettlägerigkeit, führt rasch zu einem Verlust an Knochenmasse. Zum selben Resultat führt die Belastungsminderung bei Astronauten durch den Wegfall der Schwerkraft. Die zwischen den Lamellen der Osteone sitzenden Osteozyten können mechanische Belastung des Knochens wahrnehmen. Sie vermindern darauf ihre Sclerostinfreisetzung und verändern andere Wachstums- und Differenzierungsfaktoren für Osteoblasten. Leider sind die molekularen Mechanismen dieses Regelsystems noch nicht hinreichend geklärt. Ein diskutierter Mechanismus beruht darauf, dass Belastung des Knochens zu einem Flüssigkeitsstrom durch die poröse Matrix des Knochens führt. Die Osteozyten werden durch diesen verformt (wie Wäsche im Wind), was zu einer Öffnung von mechanosensitiven Ionenkanälen führen könnte. Solche Ionenflüsse könnten dann durch gap junctions von Osteozyt zu Osteozyt weitergeleitet werden bis zu einer Stelle, an der Knochenbautrupps (basic multicellular units) gebildet werden können.

2.7  Ernährungssituation: Leptin

Auf Leptin wurde man durch einen Mausstamm aufmerksam, der nach dem Phänotyp "Fettsucht" (obesity) ingezüchtet wurde. Analysen von ob/ob-Mäusen ergaben, dass das Gen für ein extrazelluläres Signalmolekül defekt war, das man deshalb "Leptin" (griechisch leptos= dünn) nannte. Homozygote Mäuse waren nicht nur fett, sondern auch unfruchtbar. Interessanterweise hatten sie eine erhöhte Knochenmasse, während Hypogonadismus sonst regelmäßig mit Osteoporose einhergeht. Die molekularen Mechanismen der Leptinwirkung wurden aus experimentellen Gründen in der Maus gezeigt. Soweit einzelne Aspekte beim Menschen überprüft werden konnten, gelten diese Erkenntnisse wahrscheinlich ebenso für den Menschen.

Das Signalprotein Leptin wird vor allem vom Fettgewebszellen sezerniert (ein "Adipokin"). Sein Langzeit-Plasmaspiegel ist proportional zu den Fettspeichern des Individuums. Um dieses Niveau gibt es eine von den täglichen Mahlzeiten abhängige Oszillation mit in der Regel einem Tief zum Frühstück und einem Hoch am späten Abend. Darüber hinaus führen Änderungen der Ernährungslage zu temporären Abweichungen des Leptinspiegels. Auf Hungerphasen über einige Tage reagiert Leptin mit einem Abfall, auf festliche Kalorienzufuhr mit einem Anstieg. Leptin überwindet die Blut-Hirn-Schranke und beeinflusst das vegetative Nervensystem über Zentren im Hypothalamus. Erniedrigte Leptin–Werte führen zu einem verstärkten Hungergefühl, erhöhtes Leptin zu Sattheit. Für eine gewisse Zeit bestand die Hoffnung, Leptin  sei die Antwort für das verbreitete Übergewichtsproblem. Leider zeigen stark übergewichtige Menschen eine zentrale Leptin-Resistenz (ähnlich der Insulin-Resistenz bei Diabetes mellitus Typ 2), d. h., sie reagieren auf hohe Plasma-Leptin-Konzentrationen nicht mit vermindertem Appetit.

Auch der Leptin-Einfluss auf den Knochenstoffwechsel wird offenbar über das vegetative Nervensystem geleitet. Vom Hypothalamus ausgehende Impulse werden über sympathische Neurone direkt in den Knochen geleitet, wo Osteoblasten durch Noradrenalin über adrenerge β-Rezeptoren beeinflusst werden. Über diesen Signalweg hereinkommende Impulse haben in den Osteoblasten Effekte, die durch die circadiane molekulare Uhr in den Zellen beeinflusst werden. Abhängig von der Phase dieser Uhr führen diese Impulse einmal zu einer Beschleunigung der Osteoblasten-Zellteilung und -Funktion, einmal zu einer Verzögerung. Auch die Osteoklasten-Funktion wird über diesen adrenergen Weg beeinflusst. Schon seit vielen Jahren ist bekannt, dass Marker des Knochenstoffwechsels wie Osteocalcin im Blut einem circadianen Rhythmus folgen. Es wäre z. B. plausibel, dass Umbauvorgänge im Knochen während des Schlafes leichter zu bewerkstelligen sind.

Leptin ist demnach ein Signal, das die aktuelle Ernährungssituation in das zentrale Nervensystem einspeist. Dieses reagiert darauf, indem es neben Essverhalten und Fortpflanzungsverhalten z. B. auch den Knochenstoffwechsel anpasst. Bezüglich des Knochenstoffwechsels wird der errechnete Output auch eingebettet in einen sinnvollen Tag-Nacht-Rhythmus. Genetisch bedingter kompletter Leptinmangel führt in der ob/ob-Maus jedenfalls zu erhöhter Knochenmasse.

Pharmakologische Querverstrebung: Wenn Leptin über einen β-adrenergen Mechanismus die Knochenneubildung hemmt, sollten β-Blocker bei Osteoporose eine positive Wirkung entfalten. Nach retrospektiven Studien ist dies anscheinend tatsächlich der Fall. Beweiskräftigere prospektive Studien müssen erst durchgeführt werden; eine erste kleine prospektive Studie sprach für einen positiven Effekt von β‑Blockern.

 

3.  STÖRUNGEN DES KNOCHENSTOFFWECHSELS

3.1  Osteoporose

Die weitaus häufigste Form der Osteoporose betrifft Menschen in der zweiten Lebenshälfte. Sie wird als primäre oder idiopathische Osteoporose bezeichnet. Obwohl die Mechanismen bei Frauen und Männern wahrscheinlich dieselben sind, treten die Symptome bei Frauen früher auf, da bei ihnen die Östrogene früher abfallen als die Androgene bei Männern. Man spricht daher bei Frauen von postmenopausaler Osteoporose.

Symptome von Osteoporose sind im Wesentlichen Knochenbrüche. Diese betreffen häufig den Oberschenkelhals oder die Wirbelkörper (Impressionsfrakturen). Knochenbrüche treten natürlich bei Belastungsspitzen wie Stürzen auf, bei vergleichbarer Belastung aber umso häufiger, je geringer die Knochenmasse ist. Ist die mechanische Stabilität eines Knochens so geschwächt, dass er bei einem Bagatelltrauma bricht, sprechen wir von einer pathologischen Fraktur. Die größte Knochenmasse haben wir im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Von da an ist der Nettoeffekt der vielen Faktoren, die den Knochenstoffwechsel beeinflussen, leicht negativ. Bei Frauen beschleunigt sich dieser Nettoabbau mit dem Abfall der Östrogene nach der Menopause. Dabei beobachtet man in den ersten 5-10 Jahren unmittelbar nach der Menopause einen beschleunigten Verlust an Knochenmasse mit verstärkter Osteoklastenaktivität (high turnover bone loss), später einen langsamen weiteren Verlust, der eher auf ein kleines Defizit der Osteoblastenaktivität gegenüber wieder normalisiertem Knochenabbau zurückzuführen ist (low turnover bone loss).

Bei primärer Osteoporose tragen mehrere Faktoren zum negativen Nettoeffekt bei:

1.    Rückgang von Östrogenen und Androgenen

2.    Verminderte körperliche Aktivität

3.    Häufigere relative Mangelernährung bezüglich Vitamin D und Kalzium

4.    Geringere Lichtexposition vermindert endogene Produktion von Vitamin D

5.    Nierenschädigungen durch Ursachen wie Diabetes, Arteriosklerose oder Schmerzmittel-Abusus vermindern sekundär (auch via FGF23) die 1-Hydroxylierung von Vitamin D

 

Wenn die Knochenresorption leicht überwiegt, steigt der Serum-Ca2+-Spiegel. Parathormon vermindert sich, sodass Ca2+ in der Niere weniger rückresorbiert wird. Auch die Parathormon-abhängige 1‑Hydroxylierung von Vitamin D zu Calcitriol ist vermindert, sodass weniger Ca2+ über den Darm aufgenommen wird. Die Ca2+-Bilanz folgt also der Knochenmassenbilanz (alles andere hätte auch wenig Sinn: wo sollte man das überschüssige Ca2+ denn ablagern?) und ist insgesamt negativ.

Interessanterweise wirkt Übergewicht bis zu einem gewissen Grad schützend vor Osteoporose. Ob das durch die verstärkte mechanische Belastung bedingt ist, oder durch eine erhöhte residuale Östrogenbildung aus Androgenen durch die Aromatase des Fettgewebes, ist noch nicht ausreichend geklärt.

 

Diagnostik

Die relevanteste Eigenschaft des Knochens wäre seine Widerstandsfähigkeit gegen Brüche. Diese kann man natürlich nicht direkt testen. Als bestimmbare Ersatzwerte dienen einerseits die Knochendichte, andererseits Moleküle im Serum, die bei Knochenauf- oder -abbau entstehen.

Die Knochendichte wird meist durch die DXA-Methode (dual energy X-ray absorptiometry) bestimmt. Diese beruht darauf, dass energieärmere ("weiche") Röntgenstrahlen in Gewebe geringerer Dichte stärker absorbiert werden als energiereichere ("harte"), während es in dichterem Gewebe gerade umgekehrt ist. Mit anderen Worten, aus zwei mit unterschiedlicher Energie aufgenommenen Röntgenbildern kann man auf die Dichte des durchstrahlten Gewebes rückschließen, mit Hilfe einiger Annahmen nach viel Rechenarbeit auch auf die Knochendichte. Ausgegeben wird das Ergebnis als das  Vielfache der Standardabweichung vom Durchschnitt der 30-Jährigen des entsprechenden Geschlechts, dem sogenannten T‑Wert. Ein T-Wert kleiner als ‑2,5 (also eine Knochendichte, die mehr als zweieinhalb Standardabweichungen unter der durchschnittlichen Knochendichte einer/s Dreißigjährigen liegt) bedeutet definitionsgemäß Osteoporose. Ein anderes, technisch aufwendigeres und teureres Verfahren zur Knochendichtemessung stellt die sogenannte quantitative Computertomographie (QCT) dar, die mehr Information liefert, z. B. Compacta und Spongiosa getrennt analysieren lässt.

Knochenaufbau kann durch Messung von Serum-Osteocalcin verfolgt werden, da dieses nur von Osteoblasten produziert wird. Brauchbare Werte ergeben sich auch bei Bruchstücken, die bei der extrazellulären Kollagen-Assemblierung anfallen, da der Großteil der Kollagen Typ I-Synthese im Knochen abläuft. Konkret können das Prokollagen I C-terminale Propeptid (PICP) und das Procollagen I N-terminale Propeptid (PINP) bestimmt werden. Ein weiterer Marker ist die knochenspezifische alkalische Phosphatase (Ostase).

Knochenabbau durch Osteoklasten führt auch zur Spaltung von quervernetztem Kollagen. Das dabei auftretende C-terminale, quervernetzte ("x") Bruchstück der Kollagen I-Tripelhelix (CTx-I, auch als Crosslaps bezeichnet) kann im Plasma gemessen werden und dient als Maß des Knochenabbaus. Beim weiteren Abbau dieser Kollagenfragmente bleibt schließlich die chemische Struktur der eigentlichen Quervernetzung zwischen Hydroxylysinen übrig, Pyridinolin. Pyridinolin (Pyr) und das knochenspezifische Desoxypyridinolin (D-Pyr) können im Urin gemessen werden (dieser Wert wird oft auch einfach als Crosslinks bezeichnet).

Wegen des circadianen Rhythmus des Knochenstoffwechsels ist es wichtig, die Blutabnahmen für Kontrolluntersuchungen immer zur selben Tageszeit vorzunehmen.

 

Therapeutische Möglichkeiten:

Östrogen-Ersatz?

Hormonersatztherapie war einige Zeit sehr populär, um die unangenehmen Begleiterscheinungen der Menopause zu lindern. Dem Gedanken an mögliche langfristige Nebenwirkungen wurde zunächst wenig Raum gegeben. Als schließlich die notwendigen, aufwendigen randomisierten Doppelblindstudien durchgeführt wurden (Women's Health Initiative study in den USA, Million Women Study in Großbritannien), war das Ergebnis ernüchternd. Zwar ergab sich eine Reduktion der Zahl der Oberschenkelhalsfrakturen, doch wurde dies mehr als aufgewogen durch häufigeres Auftreten von Brustkrebs, Endometriumkarzinom, Herzinfarkten, Schlaganfällen und Lungenembolien. Gerade bezüglich Herzinfarkte hatte man das Gegenteil angenommen, da Frauen vor der Menopause seltener Herzinfarkte erleiden als gleichaltrige Männer. Generelle postmenopausale Hormonersatztherapie war damit vom Tisch; jüngere Studien sprechen für einen zeitlich begrenzten Einsatz in den ersten Jahren unmittelbar nach der Menopause.

Eine mögliche Alternative stellt Raloxifen dar. Raloxifen ist ein SERM (selective estrogen receptor modulator) wie Tamoxifen. Diese lipophilen Liganden binden an den Östrogenrezeptor und führen zu einer Konformationsänderung, die zu einer etwas anderen räumlichen Struktur führt, als wenn Östradiol gebunden wäre. Das führt dazu, dass diese Moleküle in manchen Geweben Östrogen-ähnliche, doch in anderen Geweben Östrogen-antagonistische Wirkungen haben. Dies ist abhängig von der individuellen Ausstattung der Zielgewebszellen mit anderen die Transkription beeinflussenden Molekülen (Koaktivatoren und Korepressoren), die den so veränderten Komplex besser oder schlechter als den Original- (Östradiol-)Komplex binden. Raloxifen hat im Knochen Östrogen-ähnliche Wirkung und kann zum Bremsen der Osteoporose eingesetzt werden. In der Brustdrüse wirkt Raloxifen Östrogen-antagonistisch und reduziert sogar das Brustkrebsrisiko. Bezüglich Endometriumkarzinom und Gefäßerkrankungen verhält sich Raloxifen nach bisherigen Daten weitgehend neutral, mit Ausnahme einer leichten Steigerung von Venenthrombosen.

Bisphosphonate

Phosphonat ähnelt Phosphat, unterscheidet sich aber dadurch, dass der zentrale Phosphor von drei Sauerstoff-Atomen umgeben wird, statt von vier wie beim Phosphat. Bei den Bisphosphonaten hängen also zwei solche Gruppen an einem Kohlenstoffatom, wobei das Phosphor-Atom direkt ans Kohlenstoffatom gebunden ist (nicht wie beim organischen Phosphat über ein Sauerstoffatom). Während Phosphate durch Phosphatasen enzymatisch leicht abgespalten werden können, ist das für die P‑C‑P-Bindungen nicht der Fall; die Bisphosphonate sind daher im Körper sehr stabil. Sind sie einmal im Knochen angelangt, haben sie eine Halbwertszeit in der Größenordnung von Jahren. In vieler Hinsicht verhalten sie sich wie Phosphat: sie bilden mit Ca2+ unlösliche Komplexe und sind daher schwer aus dem Darm resorbierbar (sie werden daher häufig parenteral appliziert). Sie lagern sich bevorzugt an Hydroxylapatit an. Von dort werden sie von "knabbernden" Osteoklasten aufgenommen und hindern diese über mehrere Mechanismen an der Arbeit; viele Osteoklasten gehen nach einiger Zeit in Apoptose. Bisphosphonate wie Alendronat (z. B. Fosamax®) bremsen also den Knochenabbau und stellen damit bei Osteoporose wieder ein gewisses Gleichgewicht her. Es gibt auch Hinweise, dass Bisphosphonate die Entstehung von Knochenmetastasen hemmen. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass Bisphosphonate dem "Überwintern" von Mikrometastasen im Knochenmark (siehe Abschnitt über Metastasierung) entgegenwirken. Problematische Nebenwirkungen entstehen, wenn die Bisphosphonat-Toxizität auf andere Knochenzelltypen übergreift, speziell, wenn es dadurch zur seltenen, aber gefürchteten Kiefer-Osteonekrose kommt.

Denosumab

Osteoprotegerin war als natürliches RANKL-blockierendes Protein ein logischer Kandidat für die Therapie von Osteoporose und wurde vom Biotechnologie-Unternehmen Amgen auch in die frühe klinische Erprobung eingeführt. Allerdings ergaben sich mehrere bedenkliche Aspekte. OPG bindet nicht nur RANKL, sondern auch andere Mitglieder der TNF-Superfamilie. OPG wird auch von Endothelzellen exprimiert und natürliche OPG-Spiegel korrelieren mit koronarer Herzkrankheit.

Als Ansatz mit einem wahrscheinlich höheren Sicherheitsniveau entwickelte Amgen einen monoklonalen Antikörper, Denosumab (Prolia®), mit OPG-ähnlicher Funktion. Vorteile sind eine höhere RANKL-Spezifität und eine geringeres Risiko, die Bildung von neutralisierenden Antikörpern gegen das körpereigene OPG auszulösen. Der humane monoklonale IgG2-Antikörper (IgG2 aktiviert Komplement wesentlich geringer als IgG1 oder IgG3) wird halbjährlich subkutan injiziert und zeigt eine gute Wirkung gegen postmenopausale Osteoporose sowie den osteolytischen Effekt von Mammakarzinom-Metastasen. Denosumab ist seit Mai 2010 für die Behandlung von Frauen mit postmenopausaler Osteoporose mit erhöhtem Frakturrisiko sowie für Männer mit Prostatakarzinom unter erhöhtem Frakturrisiko durch Androgensuppressionstherapie zugelassen. Da RANKL knockout –Mäuse auch immunologische Probleme haben (diese treten allerdings in einer frühen Entwicklungsphase auf), müssen mögliche Nebenwirkungen unter Langzeitanwendung im Auge behalten werden.

Parathormonanaloga (Teriparatid, Abaloparatid)

Während PTH physiologisch knochenabbauend wirkt und dieser Effekt bei Hyperparathyroidismus sogar verstärkt wird, kann ein therapeutisch verabreichtes PTH-Analogon erstaunlicherweise knochenaufbauend wirken. Der Unterschied liegt offensichtlich im zeitlichen Muster: die intermittierenden, kurzzeitigen Spitzen des einmal täglich verabreichten PTH-Analogons aktivieren Osteoblasten mehr als Osteoklasten und haben damit die gegenteilige Wirkung eines chronisch erhöhten PTHs. Parathormon-Analoga werden aus diesem Grund, über beschränkte Zeit, auch therapeutisch gegen Osteoporose eingesetzt, besonders, wenn infolge postmenopausaler Osteoporose bereits Frakturen aufgetreten sind.

Vitamin D und Ca2+

Um den verschiedenen Gründen für Vitamin D-Mangel entgegenzuwirken, ist es sinnvoll, Vitamin D oral zu geben. Da das nur wirken kann, wenn auch genügend Ca2+ im Darm vorhanden ist, wird auch Ca2+ zur Sicherheit substituiert.

Bewegung und Licht

Körperliche Aktivität bremst das Fortschreiten der Osteoporose wesentlich und hat zahlreiche andere positive metabolische und psychische Effekte. Am besten wirkt Widerstands/ Impacttraining hoher Intensität, also starke mechanische Belastung des Knochens. Leider ist das für die meisten älteren Menschen wenig realistisch. Jede Form der Aktivität ist aber besser als Inaktivität. Damit verbunden verstärkt die Lichtexposition die eigene Vitamin D-Bildung.

 

Sekundäre Osteoporose

Neben ihrem primären oder idiopathischen Auftreten  kann Osteoporose auch durch eine Reihe von Grunderkrankungen verursacht werden, wie z. B.

  • Hyperkortisolismus
  • Hyperparathyreoidismus
  • Hyperthyreose
  • Anorexie
  • diffuse Neoplasien wie z. B. das multiple Myelom, das häufig erst nach einer pathologischen Fraktur diagnostiziert wird.

Pharmakologische Querverstrebung: Längerdauernde Therapie mit Glucocorticoiden steigert das Risiko für Frakturen erheblich. In geringerem Ausmaß wird das Frakturrisiko auch durch SGLT2-Hemmer gehoben, die durch Diabetespatienten ja über lange Zeit eingenommen werden: Da mit der Rückresorption von Glucose auch die Rückresorption von Na+ im proximalen Tubulus der Niere gebremst wird, steht eine höhere Tubulus-Na+-Konzentration für andere Kotransportprozesse zur Verfügung. Auf diese Weise kann die Phosphatrückresorption  über den Na-Pi-Cotransporter verstärkt werden. Sekundär ergeben sich dadurch: Senkung der Ca2+-Konzentration, Steigerung der Parathormonausschüttung, Steigerung von FGF23 und dadurch Senkung von Calcitriol.

3.2  Rachitis und Osteomalazie

Mangel an Vitamin D führt bei Kindern zu Rachitis, bei Erwachsenen zu Osteomalazie. In beiden Fällen wird die ausreichend gebildete organische Matrix zu wenig mineralisiert. Die unterschiedliche Symptomatik kommt daher, dass der kindliche Knochen noch wächst, unter Vitamin D-Mangel zu weich ist und sich unter Belastung verformt. Bei Kindern findet man daher Schädel-, Brustkorb-  und Beinverformungen (Quadratschädel, Harrison-Furche entlang des Zwerchfellansatzes und O-Beine) sowie weite und aufgetriebene Epiphysenfugen und Rippenansätze (rachitischer Rosenkranz). Dazu kommen logischerweise Zahnschmelzdefekte und funktionelle Störungen durch das erniedrigte Serum-Calcium (Unruhe, Schwitzen, Muskelschwäche, Froschbauch, Verstopfung, Tetanie). Die Osteomalazie des Erwachsenen führt zu Knochenschmerzen und schleichenden pathologischen Frakturen. Rachitis und Osteomalazie können durch Vitamin D und Ca2+-Gabe gut behandelt bzw. vermieden werden. Gestillte Säuglinge sollten zusätzlich regelmäßig Vitamin D-Tropfen erhalten.

 

3.3  Knochenabbau im Rahmen von entzündlichen Erkrankungen

Im Rahmen chronischer Gelenksentzündungen, z. B. Rheumatoider Arthritis, sezernieren aktivierte Makrophagen IL‑1, IL‑6 , TNFα und Prostaglandin E. Das führt einerseits zur Induktion von Proteasen in umgebenden Zellen wie Synoviozyten, die zum Abbau von Knorpel- und Knochen-Grundsubstanz führen. Andererseits induzieren diese inflammatorischen Zytokine auch die Differenzierung von Osteoklasten im angrenzenden Knochen. Dazu trägt bei, dass mehrere Zellarten im entzündeten Gewebe, z. B. Synoviozyten und T-Zellen, RANKL exprimieren. In Summe können diese Mechanismen zu massiven Zerstörungen des gelenknahen Knochens führen.

Derselbe Mechanismus ist für das Auftreten schmerzhafter Zahnhälse und den schließlichen Zahnverlust durch Parodontitis (früher "Parodontose") verantwortlich. Bakterien in Zahnbelägen am Zahnfleischrand führen zu eine chronischen Entzündung des Zahnfleischs. Entzündliche Zytokine induzieren Osteoklasten, die den dünnen Knochen um die Zähne allmählich abbauen.

 

3.4  Morbus Paget (Osteodystrophia deformans oder Osteitis deformans)

Morbus Paget ist nach wie vor eine rätselhafte Erkrankung, die durch umschriebene Herde mit erhöhtem, aber chaotischem Knochenumbau charakterisiert ist. Die Knochenmasse in diesen Herden ist oft dicht, aber wenig belastbar. In vielen Fällen ist Morbus Paget eine Zufallsdiagnose infolge eines aus anderen Gründen indizierten Röntgenbildes, und die Erkrankung bleibt auf einen Einzelherd in einem Knochen beschränkt. Abhängig von Ort und Intensität kann die Erkrankung jedoch Schmerzen, pathologische Frakturen, Wirbelsäulenverkrümmung oder neurologische Symptome durch Nervenkompression (z. B. bei Wirbelbeteiligung, Hörverlust bei Schädelbeteiligung), verursachen. Insgesamt ist die Erkrankung häufig (im einstelligen Prozentbereich) und betrifft hauptsächlich Menschen in der zweiten Lebenshälfte. Sowohl genetische als auch Umweltfaktoren tragen zur Entstehung bei. Der Prozess beginnt mit der unphysiologischen Überaktivierung der Osteoklasten einer bestimmten Knochenregion. Mehrere Krankheits-assoziierte Allele wurden identifiziert, die eine solche Überaktivierung fördern: z. B. Polymorphismen in RANKL oder in Sequestosome 1 (SQSTM1), das für die Signaltransduktion zwischen RANK und dem Transkriptionsfaktor NFκB von Bedeutung ist. Als mögliche pathogene Umweltfaktoren werden Ca2+-Mangel in der Nahrung und Infektionen mit Paramyxoviren diskutiert. Keine dieser Hypothesen liefert allerdings einen einleuchtenden Grund für die fokale Charakteristik der Erkrankung. Die Bestimmung der knochenspezifischen alkalischen Phosphatase ist sowohl als Suchtest, als auch für die Überwachung der Therapie von Bedeutung. Die Diagnose wird mit Hilfe von Röntgenbildern und Knochenscans, inklusive Szintigraphie, gestellt. Zur Therapie werden in erster Linie Bisphosphonate eingesetzt, kombiniert mit oraler Gabe von Ca2+ und Vitamin D, Bewegung und ausreichend Sonne.

 

3.5  Knochenmetastasen

Bestimmte Tumoren metastasieren regelmäßig in den Knochen. Dazu gehören Mamma-, Prostata-, Bronchus- und Schilddrüsenkarzinom. Offensichtlich gibt es im Knochen Faktoren, die eine Ansiedlung von metastasierenden Zellen begünstigen.

Wanderungsrouten von Zellen werden häufig durch Chemokin-Gradienten beeinflusst. Mammakarzinomzellen exprimieren z.B.CXCR4, den Rezeptor für Chemokin CXCL-12, das im Knochen sezerniert wird. Ein weiterer dieser Faktoren ist der von Osteoblasten reichlich exprimierte und feigesetzte RANK-Ligand. Mammakarzinom-, Prostatakarzinom- und Melanom-Zellen exprimieren häufig RANK. Trimerisierung von RANK durch RANKL induziert in diesen Zellen Migrationsverhalten und andere Metastasen-fördernde Veränderungen. In experimentellen Metastasierungsmodellen in der Maus konnte die Bildung von Knochenmetastasen durch Injektion von OPG weitgehend verhindert werden. Auch das ist daher ein Hoffnungsgebiet des ähnlich wirkenden monoklonalen Antikörpers Denosumab.

Der Knochen-Tropismus hat tiefere Ursachen. Die molekularen Veränderungen, die zur Entstehung des Primärtumors geführt haben, haben manchmal die Aktivierung von Transkriptionsfaktoren (z. B. Runx2) zur Folge, die Hauptschalter für die Osteoblastendifferenzierung darstellen. Das führt dazu, dass Mammakarzinom- oder Prostatakarzinomzellen Osteoblasten-typische Proteine wie Osteocalcin und Osteonectin sezernieren. Sie nehmen also gewisse Eigenschaften von Knochenzellen an; wir sprechen von Osteomimicry. Dies erleichtert wahrscheinlich, dass sich die Metastase im Knochen entwickelt.

Einmal etabliert, können Knochenmetastasen osteolytisch oder osteoplastisch wirken. Dies hängt davon ab, ob die von den Metastasenzellen sezernierten Faktoren Osteoklasten oder Osteoblasten stärker aktivieren. Prostatakarzinome exprimieren häufig Endothelin-1, das Osteoblasten stimuliert und die Knochenresorption hemmt, sodass osteoplastische Metastasen entstehen..

Mammakarzinom-Metastasen wirken häufig osteolytisch. Von allen Molekülen, die weiter oben als Osteoklasten-bildend erwähnt wurden (M-CSF, RANKL, TNFα, IL-1, IL-6), wurde nachgewiesen, dass sie in manchen osteolytischen Metastasen überexprimiert werden. Einige Tumoren, wie Mammakarzinom, Formen des Bronchuskarzinoms, das Melanom, oder hämatologische Tumoren, sezernieren darüber hinaus häufig PTHrP (parathyroid-hormone-related protein). PTHrP bindet an den PTH-Rezeptor und führt auf diese Weise zu einem Knochenabbau. Systemisch kann das zur wegen der Wirkung auf das Membranpotential gefährlichen Tumorhyperkalzämie führen, lokal zu einer Osteolyse, die Platz schafft für die Ausbreitung der Metastase. Da im Knochen beträchtliche Konzentrationen an Wachstumsfaktoren wie IGF-1 und TGFβ eingemauert sind, entsteht so ein circulus vitiosus: die Metastasenzellen fördern den Knochenabbau, und der Knochenabbau fördert das Metastasenwachstum.

Metastasen treten manchmal Jahre nach Entfernung des Primärtumors auf. Mikrometastasen aus einzelnen oder wenigen Zellen sind also in der Lage, in Rückzugsgebieten des Körpers lange Zeit zu überleben. Manche Daten sprechen dafür, dass Knochenmark häufig dieses Rückzugsgebiet darstellt.  Die oberste Hierarchiestufe der hämatopoetischen Stammzellen im Knochenmark stellen Zellen dar, die in einer Art Dornröschenschlaf liegen (dormancy oder quiescence). Aus dieser G0-Phase werden die Zellen nur geweckt, wenn plötzlich ein sehr ausgeprägter Bedarf nach Mehrproduktion von hämatopoetischen Zellen besteht. Eine solche Situation wird z. B. durch einen plötzlichen Anstieg des Wachstumsfaktors G-CSF angezeigt (rekombinantes G-CSF wird auch zur Stammzellmobilisierung in Spendern eingesetzt). Nach wenigen Teilungen gehen diese Stammzellen zurück in den Dornröschenschlaf. Der Sinn dieses Tiefschlafs ist, dass die Zellen ihre DNA fast nie replizieren. Damit gibt es für diese lebenswichtigen Stammzellen kaum Gelegenheit zu Mutationen durch Fehleinbau von Basen. Was hält eine geringe Zahl von Stammzellen in diesem Tiefschlaf? Vieles spricht dafür, dass umgebende Zellen im Knochen eine sogenannte Stammzellnische bilden. Diese Nische ist eher funktionell als anatomisch ausgeprägt und besteht aus einer Mikroumgebung von Zellen, die der Stammzelle signalisieren, im Tiefschlaf zu bleiben. Solche Stammzellnischen liegen nahe der Grenzfläche zwischen Knochen und Knochenmark, dem sogenannten Endost, und enthalten eine Sonderform des Osteoblasten: Spindle-shaped, N-cadherin positive osteoblasts (SNO). Nach einer Hypothese zur Erklärung des jahrelangen Überlebens von Mikrometastasen im Körper wäre es nun möglich, dass einzelne metastatische Tumorzellen in eine hämatopoetische Stammzellnische geraten und dort ebenfalls in den Dornröschenschlaf versetzt werden, aus dem sie noch nach Jahren erwachen können.

 

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QUELLEN UND WEITERFÜHRENDE LITERATUR:

Höfler G. et al. (Hrsg.): Pathologie, 6. Auflage, Urban und Fischer, 2019

Schwarz et al. (Hrsg.): Pathophysiologie, Maudrich, Wien, 2007

Siegenthaler W. und Blum H. E.(Hrsg.):
Klinische Pathophysiologie, 9. Auflage, Thieme, Stuttgart, 2006

auf Englisch:

Kumar V. et al. (eds.): Robbins and Cotran Pathologic Basis of Disease, 10th Edition, Saunders, Philadelphia, 2020

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