-Immunologie INHALT: Harnsäuresynthese
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PATHOPHYSIOLOGIE DER GICHTDieses Skriptum ist eine Lernhilfe zu meiner Vorlesung im Modul "Bewegungsapparat" an der Medizinischen Universität Innsbruck. Ich möchte alle Studierenden ermutigen, sich eine gute Basis an medizinischem Englisch zu erarbeiten und stelle das Skriptum daher auch in einer Englischen Version zur Verfügung. Zum Ausdruck eignet sich die pdf-Version. Gicht ist eine entzündliche Reaktion auf Natriumurat-Kristalle. Im menschlichen Organismus bewegt sich der Harnsäurespiegel immer nahe seiner Löslichkeitsgrenze in einem Fließgleichgewicht zwischen Synthese und Ausscheidung. HARNSÄURE-SYNTHESEHarnsäure entsteht durch den Abbau von Purinen aus DNA. Durch zwei Hydroxylierungsreaktionen wandelt Xanthinoxidase Hypoxanthin über Xanthin zu Harnsäure um. Bei Tieren wird Harnsäure durch das Enzym Uricase mittels Öffnung des größeren der beiden Ringe weiter zum gut wasserlöslichen Allantoin abgebaut. Zwar enthält das menschliche Genom das Uricasegen noch, doch wurde es in einem Hominiden Vorläufer durch Mutation inaktiviert. Gicht ist daher ein exklusiv Menschen (oder besser, Primaten) betreffendes Problem. HARNSÄURE-AUSSCHEIDUNGWie der Name
bereits sagt, wird Harnsäure hauptsächlich über die Niere ausgeschieden, ein
kleinerer Anteil über den Darm.
In der Niere wird
im Schnitt etwa 10% des filtrierten Urats eliminiert, doch ist dieser
Prozentsatz außerordentlich variabel. Die schließlich ausgeschiedene Menge ist
das Nettoergebnis von gleichzeitig ablaufenden Reabsorptions- und
Sekretionsprozessen. Im proximalen Tubulus benützen Zellen SLC22A12 (Synonym:
URAT1, urate transporter 1), um
filtrierte Urat-Ionen im Austausch gegen intrazellulär vorhandene organische
Anionen wie Laktat oder Ketonkörper rückzuresorbieren. Bei Laktatazidose
(Alkohol) oder Ketoazidose werden Laktat oder Ketonkörper verstärkt sezerniert
und damit besonders viel Urat rückresorbiert: Feiern und Fasten steigern
Harnsäurespiegel und die Wahrscheinlichkeit für Gichtanfälle. In die
entgegengesetzte Richtung pumpen Purin-Nukleosidtransporter ABCG2 und der
spannungsgesteuerte Transporter SLC17A3 Harnsäure zurück ins Lumen. Auf der
basolateralen Membranseite transferiert der spannungsabhängige SLC2A9 Harnsäure
aus der Zelle ins Blut.
Solute carrier SLC2A9 wird von allen Körperzellen exprimiert. Während er Urat aus der proximalen Tubuluszelle infolge der Konzentrationsverhältnisse nur herausschleust, kann er in anderen Zellen durchaus auch Urat in die Zelle hineinschleusen. SLC2A9 ist ein Zielgen von p53, dem Wächter unseres Genoms. Vermehrte DNA-Schäden durch reaktive Sauerstoffverbindungen führen über p53 zur Induktion von SLCA2A9 und zum verstärkten Import des Radikalfängers Urat. Manches deutet darauf hin, dass der Anstieg des Harnsäurespiegels bei Primaten durch Verlust der Funktionalität des Uricasegens dazu beigetragen haben könnte, diese durch verstärkten antioxidativen Schutz langlebiger zu machen. Die renale Ausscheidung
von Harnsäure wird stark durch genetische Faktoren beeinflusst. Es leitet sich
logisch ab, dass Polymorphismen, welche die Effizienz von SLC22A12 negativ
beeinflussen, die Ausscheidung von Harnsäure steigern, während
Beeinträchtigungen der Transporter Richtung Lumen zu Hyperurikämie führen. Ein
SNP (single nucleotide polymorphism)
in ABCG2 führt zum Aminosäureaustausch Gln141Lys. Diese Substitution verändert
eine konservierte Position in der intrazellulären ATP-Bindungsdomäne und
reduziert die Harnsäuretransportrate des Proteins um etwa 50%. Dieser SNP ist
ziemlich häufig: 10-20% der Europäer und 30-50% der Asiaten tragen das Allel.
Ist das Allel vorhanden, verdoppelt sich in etwa das Risiko für Hyperurikämie
und Gicht. Auch Austauschmutationen in SLC17A3 wurden als Ursache von
Hyperurikämie und Gicht identifiziert.
Auch die (geringere) Ausscheidung von Harnsäure über den Darm läuft über den ABCG2-Mechanismus. Funktionsmindernde SNPs wirken sich damit sowohl auf die Nieren-, als auch auf die Darmausscheidung negativ aus. Östrogene steigern
die Harnsäureausscheidung, indem sie die Expression der renalen Transportproteine
beeinflussen, sodass Harnsäurespiegel bei Frauen vor der Menopause signifikant
niedriger sind als bei Männern. HYPERURIKÄMIEEine kritische Lücke in unserem Verständnis der Entstehung von Gicht stellt die Tatsache dar, dass nur eine Minderheit der Menschen mit Hyperurikämie tatsächlich Gichtsymptome entwickelt. Mehr als 10% der Bevölkerung in wohlhabenden Ländern hat Hyperurikämie (21% der Männer aber nur 3% der prämenopausalen Frauen), doch nur etwa 0,5% entwickeln Gicht. Hyperurikämie wird durch Harnsäure-Serumspiegel von 6,8 mg/dl oder höher definiert, die Grenze der Löslichkeit unter physiologischen Bedingungen. Jenseits dieser Konzentration bilden sich irgendwo im Körper Natriumurat- (monosodium urate, MSU)-Kristalle. Je höher die Serumspiegel über längere Zeiträume, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, irgendwann eine Gichtattacke zu erleiden. Hyperurikämie wird in 90% der Fälle durch unzureichende renale Elimination verursacht. GICHTGichtarthritisEine "kristallklare" Diagnose lässt sich stellen, wenn man das betroffene Gelenk punktiert und im Polarisationsmikroskop doppelbrechende Kristallnadeln im Aspirat findet. Wegen der Infektionsgefahr und anderen möglichen Komplikationen ist das Punktieren eines Gelenks jedoch nicht allzu populär. Die Diagnose stützt sich daher in den meisten Fällen auf das charakteristische klinische Bild: heftige Gelenksschmerzen, die sich innerhalb weniger Stunden entwickeln, Berührungsschmerz, Überwärmung, Rötung und Schwellung, z. B. des Metacarpophalangealgelenks des Daumens oder des Metatarsophalangealgelenks der großen Zehe. Ein solcher Gichtanfall folgt häufig in der Nacht auf ein üppiges Abendessen mit reichlich Alkohol. TophusgichtUratkristalle können nicht nur in der Synovialflüssigkeit entstehen, sondern auch in Synovialmembranen, periartikulärem Gewebe wie Sehnen, Bändern, Bursae und an anderen Stellen des Körpers, z. B. in der Haut. Um diese Urat-Aggregate bildet sich entzündlich-reaktives Gewebe, das im Prinzip ein Fremdkörpergranulom darstellt und insgesamt als Tophus bezeichnet wird. Das reaktive Gewebe besteht aus Makrophagen, multinukleären Riesenzellen, Lymphozyten und proliferierenden Fibroblasten.
NephropathieBeim Plasma-pH von 7.4 liegen 98% der Harnsäure in der ionisierten Form als Urat vor. Im Nierenmark, wo der pH Werte unterhalb der pKa der Harnsäure von 5.75 erreichen kann, ist Harnsäure mehrheitlich protoniert. In der protonierten Form ist Harnsäure weniger löslich als in der ionisierten, sodass dass saure Milieu des Nierenmarks die Entstehung von Harnsäurekristallen fördert, die intratubuläre Präzipitate und interstitielle Tophi zur Folge haben können. Zusätzlich besteht bei saurem und konzentriertem Urin die Gefahr der weiteren Bildung von Harnsäure-Nierensteinen. Gichtanfall als Teil des Tumorlyse-SyndromsDer Beginn der Therapie einer Leukämie, eines Lymphoms oder eines Tumors kann zum massiven, simultanen Untergang einer großen Zahl von Zellen führen. Eines der Probleme in dieser Situation ist der Abbau von DNA in großem Maßstab bei gleichzeitig eingeschränkter Nierenfunktion, sodass der akute Anstieg der Harnsäurekonzentration häufig zu einem Gichtanfall führt. In dieser speziellen und zeitlich begrenzten Situation kann eine Attacke durch Injektion einer aus einer anderen Spezies stammenden Uricase unter Umständen verhindert werden.
PHARMAKOLOGISCHE QUERVERSTREBUNG: THERAPIESTRATEGIENPatienten benötigen Therapie in zwei sehr unterschiedlichen Situationen: einerseits bei einem akuten Gichtanfall zur Symptomlinderung und, wenn Anfälle wiederholt auftreten, im Intervall, um das Auftreten von Anfällen so weit wie möglich zu verhindern. Die Nierenfunktion ist eine Randbedingung, die dabei immer im Auge behalten werden muss: manche der nachstehend erwähnten Medikamente sind bei eingeschränkter Kreatininclearance kontraindiziert.
Strategien zur Symptomlinderung bei akuten Attacken:Colchicin wird seit dem Altertum zur Behandlung von Gichtanfällen verwendet. Das Toxin der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale) bindet an Tubulin und verhindert dessen Polymerisation. Mikrotubuli werden zum Transport von Vesikeln und zur Ausbildung der Teilungsspindel benötigt. Colchicin lindert den heftigen Schmerz einer akuten Gichtattacke hervorragend, doch ist seine Anwendung wegen der toxischen Nebenwirkungen eine Gratwanderung. Das oral aufgenommene Medikament erreicht seine höchsten Konzentrationen naturgemäß im Gastrointestinaltrakt und löst so Übelkeit und andere gastrointestinale Symptome aus. Es ist bei reduzierter Kreatininclearance kontraindiziert. Colchicin nützt dann am besten, wenn die Patienten es daheim bereits lagernd haben, sodass sie es bei Ausbruch eines Anfalls sofort zu sich nehmen können.
Strategien zur Senkung des Harnsäurespiegels:Wie wir gesehen haben, ist der Harnsäurespiegel das dynamische Nettoergebnis aus Zu- und Abfluss. Harnsäuresenkende Therapie kann damit auf beiden Seiten ansetzen: es gibt sowohl Medikamente, die die harnsäureproduzierende Xanthinoxidase hemmen, als auch Medikamente, die die renale Ausscheidung verstärken. Während der ersten Wochen oder Monate einer harnsäuresenkenden Therapie tragen die Patienten ein erhöhtes Risiko für einen Gichtanfall, möglicherweise durch die Mobilisierung von Harnsäure aus Gewebsdepots. Um dies zu vermeiden, wird eine Prophylaxe mit NSAIDs oder Colchicin versucht. Xanthinoxidasehemmer:Allopurinol ist ein Purinanalog, das Hypoxanthin strukturell imitiert: nur ein Stickstoffatom, im kleineren der beiden Ringe, ist verschoben. Damit kompetiert Allopurinol mit Hypoxanthin um die Bindungsstelle an der Oxidase. Durch die Hemmung des Enzyms wird weniger Harnsäure gebildet und mehr Hypoxanthin und Xanthin über die Niere ausgeschieden. Um das Risiko eines akuten Anfalls zu minimieren, beginnt man die Therapie mit 100mg-Steigerunsstufen. Allopurinol muss individuell dosiert werden: bei der typischen Dosis von 300 mg pro Tag sind viele Patienten noch unterdosiert und zeigen nach wie vor Hyperurikämie. Patienten mit HLA-Allel HLA-B*58.01 haben ein erhöhtes Risiko für ein Allopurinol-Überempfindlichkeitssyndrom, das durch Allopurinol-Modifizierung der MHC-Peptidbindungstasche verursacht sein könnte. Dieser Mechanismus wäre eine Parallele zum Überempfindlichkeitssyndrom auf das HIV-Medikament Abacavir. Das Überempfindlichkeitssyndrom manifestiert sich als Stevens-Johnson oder Lyell Syndrom, mit hoher Letalität. Ist die Prävention der schmerzhaften, aber in der Regel selbstlimitierten Gichtanfälle dieses Risiko wert? Urikosurika:Urikosurika verstärken die renale Ausscheidung, vor allem durch Hemmung der Reabsorption von Urat-Ionen im proximalen Tubulus. Von den drei potentiellen Kandidaten ist in den meisten Ländern nur eines zugelassen; welches, ist nach Land verschieden. Bereits daraus kann man ableiten, dass auch diese Substanzen jeweils Probleme mit sich bringen. Logischerweise basiert ihre Wirksamkeit auf einer adäquaten Nierenfunktion; unter einer gewissen Kreatininclearance ist ihr Einsatz sinnlos. Auf der anderen Seite bedeutet höhere Ausscheidung unweigerlich auch höhere Konzentration im Urin und damit, speziell bei angesäuertem Urin, erhöhtes Steinrisiko.
Injektion von Uricase zum Abbau von HarnsäureUricase, das in der Evolution verlorene Enzym, wieder zurückzuholen, erscheint im ersten Moment als brillante Idee. Das Problem ist, dass unser Immunsystem nie gelernt hat, es als Teil des Selbst zu tolerieren. Nach ein, zwei Anwendungen bilden wir unweigerlich Antikörper dagegen, die es im besten Fall unwirksam machen, die uns im schlechtesten Fall aber mehr Probleme einbrocken als wir bereits hatten. Uricase kommt also nur für verzweifelte Situationen oder Kurzzeitanwendungen in Frage. Zwei Formen werden eingesetzt:
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QUELLEN UND WEITERFÜHRENDE LITERATUR: Schwarz et al. (Hrsg.): Pathophysiologie, Maudrich, Wien, 2007 auf Englisch: Kumar V. et al. (eds.): Robbins and Cotran Pathologic Basis of Disease, 10th Edition, Saunders, Philadelphia, 2020 Reviews: Terkeltaub, Nature Rev. Rheumatol. 6: 30-38 (2010) Neogi T., New Engl. J. Med. 364: 443-452 (2011) |